Religionen – Retter oder Risiko in Krisenzeiten?

Vom 22.11. bis 24.11.2024 fand die MuslimDebate 2.0 Tagung der Alhambra Gesellschaft zum Thema „Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Zeiten von Krisen – Welchen Beitrag können Religionen leisten?“ in Bad Alexandersbad statt.

Die Einführung in die Tagung teilen wir an dieser Stelle, um unser Online-Publikum dazu zu ermutigen, sich an dieser Debatte zu beteiligen. Bitte sendet uns Eure Meinung zu den im Folgenden formulierten Gedanken. Wie erlebt Ihr Religionen? Als Quelle des Zusammenhalts? Oder als Problem für eine vielfältige Gesellschaft?

„In Zeiten multipler Krisen und tiefgreifender Veränderungsprozesse wird der gesellschaftliche Zusammenhalt direkt oder indirekt bedroht. Extreme Ränder der Gesellschaft versuchen aus dieser unsicheren Lage Profit zu schlagen und die Angst vieler Menschen für ihre Zwecke zu missbrauchen. Sie schüren gezielt Ressentiments gegen Minderheiten und Andersdenkende, delegitimieren sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Institutionen und untergraben dadurch die Demokratie.

Welchen Beitrag können oder müssen Religionen in diesem Kontext leisten, um Zusammenhalt und Solidarität unter den Menschen zu stärken?

Das ist eine mutige Frage. Denn sie impliziert durchaus die Annahme, dass Religionen eine solche Zusammenhalt und Solidarität stärkende Wirkung originär innewohnt. Aber im historischen Rückblick und in der gegenwärtigen Situation weltweit, bedarf es schon einer sehr reduzierten und wohlwollenden Sichtweise, um Religionen als wirkmächtige Quellen des Zusammenhalts und der Solidarität unter den Menschen zu identifizieren.

Und das gilt nicht nur im Hinblick auf die Konflikte zwischen unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften. Selbst innerhalb der gleichen Glaubensgemeinschaft ist die Religion nicht zwingend eine Kraft, die Solidarität fördert, sondern auch eine, die Zwietracht und Feindseligkeit verursacht.

Kain erschlägt seinen jüngeren Bruder Abel, weil Gott dessen Opfergabe bevorzugt. Seit Beginn der abrahamitischen Religionsüberlieferungen wühlen wir in den Eingeweiden unserer Nächsten, um Beweise für die eigene religiöse Überlegenheit oder die Niedertracht des Anderen zu finden.

Religion diente und dient bis heute, als Motiv, als Grund und gleichzeitig als Rechtfertigung für Abwertung und Gewalt. Der gemeinsame Glaube an einen barmherzigen Schöpfergott hinderte und hindert uns nicht daran, die Gewalt gegen unsere Mitmenschen auf religiöse Überzeugungen zu stützen:

Wenn es nur einen Gott gibt, muss es da nicht auch die eine, die einzig richtige, einzig authentische Weise geben, an ihn zu glauben und ihm zu dienen? Wenn die eigene religiöse Wahrheit endgültig und alleingültig ist, können sich alle anderen nur irren. Und wer glaubt, absolut im Recht zu sein, will dem Unrecht nicht weichen. Können unter solchen Bedingungen Demokratie und Pluralismus überhaupt funktionieren?

Wessen Recht sich auf eine göttliche Wahrheit stützt, für den sind menschliche Kategorien des Rechts und Unrechts plötzlich kein Maßstab mehr, an dem seine religiöse Überzeugung gemessen werden könnte. Kann Vielfalt dann aber noch als gesellschaftliches Fundament tragfähig sein?

Bis heute sind über 100 Religionskriege bekannt und belegt. Darunter die Islamischen Expansionskriege, die Kreuzzüge, die Hugenottenkriege, der Dreißigjährige Krieg – um nur wenige, für unsere europäische Perspektive besonders relevante Beispiele zu nennen.

Religiös begründete und gerechtfertigte Gewalt prägt auch unsere gegenwärtige Wahrnehmung und Haltung in den aktuellen gesellschaftlichen Debatten.

Wenn heute der ohnehin schon sehr zaghafte und seltene Austausch zwischen Juden und Muslimen in Deutschland seit einem Jahr praktisch zum Erliegen gekommen ist, wenn die vorsichtige Annäherung nahezu gänzlich dem Misstrauen gewichen ist, dann spielt Religion in dieser Entwicklung auch eine wichtige Rolle.

Verlaufen die vielen Konzepte des interreligiösen Dialogs – sei es im Rahmen zivilgesellschaftlicher Initiativen oder auch staatlicher und institutioneller Kooperationen – entlang dessen, was wirklich ist und entlang der tatsächlichen Probleme und Herausforderungen?

Oder sind diese Dialoge getragen von dem, was wir sehen wollen und uns zu sehen wünschen?

Sind die vielen problematischen Ereignisse nur bedauerlich Einzelfälle, von denen wir uns die „guten“ Dialog- und Kooperationspartner nicht kaputt machen lassen wollen?

Oder stehen diese Ereignisse für ein tatsächliches Problem, das wir ignorieren, um unser Verständnis und unsere bestehende Praxis des Dialogs nicht hinterfragen zu müssen?

Ist alles gut, wie es gegenwärtig ist? Was funktioniert, was muss sich ändern?

Können Religionen tatsächlich anders wirken als entzweiend?

Ist Religion das Problemkind einer heterogenen Gesellschaft? Oder kann sie ihr Anker werden?

Welche Erfahrungen machen Sie?“

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