Von Klaus Waldmann
Zur Podiumsdiskussion im Rahmen der Tagung der Alhambra Gesellschaft im Rahmen des Projekts MuslimDebate 2.0 zum Thema „Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Zeiten von Krisen – Welchen Beitrag können Religionen leisten?“ war vom Evangelischen Bildungs- und Tagungszentrum Bad Alexandersbad öffentlich eingeladen worden. Den Diskutanten war die Frage nach der Funktion von Religionen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufgegeben. Zwei mögliche Eigenschaften der Religion in Krisenzeiten war ihnen vorgegeben worden: Retter oder Risiko?
Denkanstöße und erste Antworten zu dieser Frage gaben: Mirjam Elsel, Landesbeauftragte für interreligiösen Dialog der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Prof. Dr. Nimet Şeker, Institut für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin, Dr. Philipp Hildmann vom ‚Bayerischen Bündnis für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen‘ und Michael Movchin vom Verband Jüdischer Studenten in Bayern. Moderiert wurde das Gespräch von Eren Güvercin, Alhambra Gesellschaft.
Suche nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt
Der Begriff Gesellschaftlicher Zusammenhalt, der auch im Zentrum des Nachdenkens während der gesamten Veranstaltung stand, hat in den zurückliegenden Jahren eine enorme Karriere gemacht. Wissenschaft und Politik stellen fest, dass die Gesellschaft in immer kleinere Einheiten zerfällt. Die These von der Spaltung der Gesellschaft findet in öffentlichen Debatten großen Zuspruch. In kaum einer politischen Rede fehlt der Hinweis auf die Bedeutung des gesellschaftlichen Zusammenhalts für die zukünftig Entwicklung der Demokratie. Zahlreiche Publikationen befassen sich mit dieser Thematik, zu ihrer Erforschung fördert das Bundesforschungsministerium ein umfassendes Netzwerk verschiedener Universitäten und Forschungseinrichtungen an 11 Standorten. Unter anderem wird nach den Bindekräften gefragt, die eine plurale, vielfältige und komplexe Gesellschaft zusammenhalten, was es für den Zusammenhalt einer Gesellschaft braucht und wie, gesellschaftlicher Zusammenhalt gestaltet werden kann.
Den Religionsgemeinschaften wird in dieser Debatte zum einen die Rolle des Retters zugesprochen, zum anderen werden sie auch als Risikofaktor betrachtet: Können die Religionen mit den Grundelementen ihres Glaubens bzw. mit den von ihnen vertretenen Lebensmaximen, Werten und Normen, die notwendigen Bindekräfte für komplexe Gesellschaften entfalten und diese vor einem völligen Auseinanderdriften bewahren? Oder sind die Religionen nicht doch auch treibende Kräfte für Abgrenzungen und Trennendes in der Gesellschaft und mit ihren jeweils eigenen Wahrheitsansprüchen auch Quelle für Konflikte? Können sie trotz unterschiedlicher Glaubensbekenntnisse kraftvolle Triebfedern sein, um sich religionsübergreifend und gesellschaftlich für den Zusammenhalt zu engagieren? Die Debatte des Abends konzentrierte auf die gemeinschaftlichen nicht auf die individuellen Funktionen der Religion.
Einig war sich die Podiumsrunde in der Einschätzung, dass die bundesdeutsche Gesellschaft in den zurückliegenden Jahren infolge Individualisierung, Globalisierung, Migration und Pluralisierung vielfältiger und fragmentierter geworden ist. Die Gesellschaft, wurde unterstrichen, sei aktuell mit den Auswirkungen und Folgen einer Polykrise konfrontiert. Stichworte hierzu wären u.a.: Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, eine global drohende Klimakatastrophe, wirtschaftliche Stagnation und steigende Lebenshaltungskosten, Zunahme rechtspopulistischer Strömungen und wachsende Skepsis gegen die Demokratie bzw. gegenüber ihrer Leistungsfähigkeit bei der Krisenbewältigung. Zur Situation der Religion wurde die These vertreten, dass die deutsche Gesellschaft sowohl multireligiöser als auch säkularer geworden sei. Zahlen zeigten, dass ein Anteil von ca. 52 % der Bevölkerung christlichen Religionen angehört, ca. 7 % dem Islam, ca. 0,1 % jüdischen Gemeinden und ca. 43 % konfessionslos sind. Außerdem wurde ein aufschlussreicher Befund aus dem Religionsmonitor 2023 der Bertelsmann Stiftung zitiert. Demnach würden über 36 % der Befragten religiöse Vielfalt als Bedrohung wahrnehmen. Wobei diese Einschätzung vor allem von denjenigen geäußert werde, die gegenüber Religionen eine distanzierte Haltung haben. Erklärt wurde diese Tendenz mit der Einschätzung, dass Menschen überfordert seien, mit Vielfalt umzugehen. Zur Deutung der gesellschaftlichen Tendenzen wurde zudem auf den fortschreitenden Prozess der Säkularisierung hingewiesen, ohne deren Ambivalenz zu übersehen.
Um die Ressourcen der Religionen für eine Stärkung gesellschaftlicher Bindekräfte zu nutzen, wurde dafür plädiert, sich für eine Kultur der Verständigung zu engagieren. Mit einem solchen Engagement würden die Religionsgemeinschaften ihre Verantwortung für die Gesellschaft wahrnehmen. Allerdings wurde auch erläutert, dass die Religionsgemeinschaften nicht als homogene Einheiten betrachtet werden dürfen. Im Gegenteil müsse davon ausgegangen werden, dass sie in sich äußerst differenziert sind.
Naheliegend war, dass das sogenannte Böckenförde-Diktum in das Gespräch eingebracht wurde. Es besagt, dass „der freiheitliche, säkularisierte Staat … von Voraussetzungen [lebt], die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ Bei Böckenförde heißt es dann weiter, dass „der säkularisierte weltliche Staat aus jenen inneren Antrieben und Bindungskräften leben muss, die der religiöse Glaube seiner Bürger vermittelt. Freilich in der Weise, dass die Christen diesen Staat in seiner Weltlichkeit nicht länger als etwas Fremdes, ihrem Glauben Feindliches erkennen, sondern als die Chance der Freiheit, die zu erhalten und realisieren auch ihre Aufgabe ist“ (Siehe Ernst Wolfgang Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation. Wiederabgedruckt in: Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt 1991, S. 92-114). Dieses Diktum räumt also der Religion eine hohe Relevanz für die Bildung von Gemeinsinn ein. In der Diskussion wurde die Behauptung des Diktums und seine Annahmen kritisch befragt. U. a. wurde darauf hingewiesen, dass Böckenförde bei der Begründung seiner These von einer homogenen Gesellschaft, in der die christlichen Religionen eine herausragende Rolle einnehmen, ausgegangen sei. Problematisiert wurde, ob das Diktum angesichts einer fortgeschrittenen Ausdifferenzierung der Gesellschaft, die mit den Adjektiven multireligiös und multiethnisch zutreffend zu charakterisieren ist und die zudem aus einem sehr hohen Anteil nicht-religiös gebundener Menschen besteht, noch hinreichend aussagekräftig ist. Außerdem sei davon auszugehen, dass sich die Bindekräfte einer modernen liberalen Gesellschaft auch aus anderen Quellen jenseits der Religionen speisen (z. B. Humanismus, Aufklärung, gelebte Kultur).
Insgesamt könne nicht übersehen werden, dass die gesellschaftliche Bedeutung von Religion und Glaube in Deutschland, regional mehr oder weniger stark, nachlasse. Beklagt wurde, dass damit ein Wissen über den Glauben wegbreche und die stabilisierende Kraft von Religionen drohe, verloren zu gehen. Zugespitzt wurde diese Beschreibung gesellschaftlicher Tendenzen in der These eines weit verbreiteten religiös-theologischen Analphabetismus. Allerdings wurde auch konstatiert, dass Religionsgemeinschaften nicht immer als hilfreich erfahren werden, das betreffe ihre Positionierung z.B. zu kriegerischen Konflikten in der Ukraine oder im Nahen Osten, aber auch im Kontext der Debatten über den sexuellen Missbrauch im Kontext christlicher Kirchen.
Räume und Plattformen für Begegnung, Austausch und Verständigung
Ein großer Teil der weiteren Debatte beschäftigte sich mit den Bedingungen und Chancen des interreligiösen Dialogs. Dieses im Verhältnis der abrahamitischen Religionen untereinander bewährte Format schien für das Podium ein geeignetes Format, um sich über den Beitrag der Religionsgemeinschaften zum gesellschaftlichen Zusammenhalt zu verständigen. Dabei wurden zunächst zwei Aspekte im Gespräch deutlich. Erstens zielen interreligiöse Dialoge vorrangig auf Verständigung, Respekt und Anerkennung unter den Religionen. Dass daraus implizit konstruktive Effekte für den gesellschaftlichen Zusammenhalt entstehen, ist zwar äußerst wünschenswert, jedoch nicht zwangsläufig. Zweitens ist davon auszugehen, dass es unterschiedliche Formen interreligiöser Dialoge gibt, die auf verschiedenen, oft sehr begrenzten Ebenen stattfinden: private Gesprächsrunden im Wohnzimmer, Treffen von Akteur:innen in Gemeinden, thematisch orientierte Foren, Treffen bzw. Podiumsdiskussionen von Repräsentanten der diversen Ebenen von Religionsgemeinschaften.
Grundsätzlich gehe es darum, in einen Austausch mit anderen einzutreten, bereit zu sein zu lernen und auch Wissen zu erwerben, wurde betont. Ideal sei, wenn sich Menschen mit der Bereitschaft treffen, zuzuhören und mit dem Interesse zu verstehen, warum der andere so denkt, wie er denkt und sie dazu bereit sind, zu erzählen, wieso sie so denken, wie sie denken. Solche Begegnungen wurden zwar als immer wieder anstrengend, jedoch gleichzeitig als bereichernd erlebt, wenn z. B. erfahren werden könne, wie der göttliche Funke in die Welt kommt. Besondere Bedeutung wurde interreligiösen Begegnungen auf lokaler Ebene beigemessen. Öffentliche Auftritte der Vertreter:innen von Religionsgemeinschaften wurden als grundsätzlich wichtig erachtet, sie hätten jedoch vor allem symbolischen Charakter und seien nur begrenzt als Dialog zu betrachten.
Inhaltlich sei es überaus wichtig, wurde unterstrichen, alle sogenannten „heißen“ Fragen anzusprechen, an denen sich Differenzen und Fremdheit zwischen Religionsgemeinschaften festmachen oder die sich aus Vorbehalten gegenüber den anderen speisen. Ein interreligiöser Dialog, der gesellschaftliche Realitäten ausklammere, könne weder dazu beitragen, Vorurteile abzubauen noch daran mitwirken, zu einer tragfähigen und gemeinschaftsstiftenden Verständigung zu kommen. Zudem sei es auch immer wichtig, zu reflektieren, mit welcher Motivation zum interreligiösen Dialog eingeladen wird, welche Interessen eingebracht und mit welcher Perspektive die Gespräche aufgenommen werden. Gerade für Menschen mit christlichem Hintergrund seien die Gespräche in diesem Format oft der erste Ort, an dem die eigene religiöse Biografie zum Thema wird und wichtige Erfahrungen bewusst gemacht werden.
Angesichts der schon erwähnten Diagnose eines religiös-theologischen Analphabetismus sei es vielfach erforderlich, in Form einer elementaren Religionskunde über unterschiedliche Strömungen in den Religionsgemeinschaften zu informieren und über zentrale Symbole, Rituale und Bräuche zu sprechen, um die Unkenntnis über die Komplexität von Religionen abzubauen. An die öffentlich-rechtlichen Medien wurde die Forderung gerichtet, ihre Möglichkeiten verstärkt für eine informative Religionskunde einzusetzen, um ausführlich, sachlich und ansprechend über die gegenwärtig in der Bundesrepublik bestehenden Religionsgemeinschaften zu informieren. Davon wurde ein nachhaltiger Beitrag zu einer notwendigen Förderung der Religionssensibilität in der Gesellschaft erhofft. Weiter wurde am Beispiel eines interreligiösen Netzwerks Klimagerechtigkeit gezeigt, wie religiöses Engagement dazu führen kann, Verantwortung für die Welt wahrzunehmen. Im Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit würden spirituelle Ressourcen in die Gesellschaft eingebracht und wichtige Impulse zum Handeln gegeben.
Kritisch wurde zum Format des interreligiösen Dialogs angemerkt, dass die beteiligten Personen oft nicht als eigenständige, gläubige Personen gesehen, sondern als Repräsentanten einer/ihrer Religion gelesen werden. Sie würden damit auf ihre religiöse Identität reduziert und mit der jeweiligen Tradition, den vordergründig sichtbaren Symbolen und Praktiken einer Glaubensgemeinschaft assoziiert. Zudem wurde auf die oft in interreligiösen Dialogen herrschende strukturelle Asymmetrie hingewiesen: Grundsätzlich verfügen die Religionsgemeinschaft über ungleiche personelle, materielle und strukturelle Ressourcen. Zur Asymmetrie gehöre, dass, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, der Anteil der Religionsgemeinschaften an der Bevölkerung sich gravierend unterscheidet. Zudem wurde aus jüdischer Perspektive erläutert, dass in Deutschland zwar ca. 200.000 Jüdinnen und Juden leben, davon jedoch nur ca. 90.000 Mitglieder jüdischer Gemeinden sind. Ein Großteil davon versteht sich also säkular. Jüdisch-Sein habe in diesem Kontext mehr mit persönlicher als mit religiöser Identität zu tun.
Ein ernüchternder Lackmustest für die Tragfähigkeit der interreligiösen Dialogformate in Deutschland sei der schreckliche Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 gewesen, wurde von jüdischer Seite ins Gespräch gebracht. Gesprächsformate zwischen Juden und Muslimen seien danach weitgehend gecancelt worden. Vor allem auf jüdischer Seite sei es schwierig geworden, Menschen zu motivieren, sich auf Gespräche mit Angehörigen einer Gruppe einzulassen, aus deren Reihen Menschen kommen, die die Vernichtung des eigenen Volkes anstreben. Außerdem wurde darauf verwiesen, dass es auch erforderlich sei, Menschen, die sich auf den interreligiösen Dialog einlassen, zu begleiten und in einer Nacharbeit die jeweiligen Erfahrungen im Kontext der eigenen Religionsgemeinschaft zu reflektieren. Von christlicher Seite wurde selbstkritisch der eigene Aktionismus nach dem 7. Oktober problematisiert, Veranstaltungen abzusagen. Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, geplante Veranstaltungen im interreligiösen Dialog durchzuführen, um bestehende Gesprächsfäden nicht abreißen zu lassen.
Jüdisches Leben in Deutschland – nur an Gedenktagen?
Vor dem Hintergrund des Überfalls der Hamas vom 7. Oktober 2023 und den kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten widmete sich eine Phase der Gesprächsrunde den Auswirkungen auf das jüdische Leben in Deutschland. Zunächst wurde vehement die These formuliert, dass ein wirkliches Wissen über jüdisches Leben in Deutschland kaum vorhanden sei. Debatten über jüdisches Leben erfolgten vor allem an Gedenktagen als Bestandteil einer offiziellen Erinnerungsarbeit. Diese Debatten orientierten sich an der Geschichte der Shoa und mündeten in einem Nie-Wieder und dem Schutzversprechen gegenüber der jüdischen Gemeinschaft. Gerade die Zäsur vom 7. Oktober und ihre Folgen zeigten jedoch, dass mit diesem allseits geäußerten und ernst gemeintem Versprechen kein umfassender individueller Schutz gewährleistet werden kann. Jüdische Menschen seien Anfeindungen und Hass bis zu körperlichen Attacken ausgesetzt. Mitgliederversammlungen jüdischer Gruppierungen müssten als Hochrisikoveranstaltungen unter Polizeischutz durchgeführt werden. Aktuell sei festzustellen, dass Bestrebungen, jüdisches Leben in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen, wieder zurückgenommen würden. In der Folge werde jüdisches Leben in der Öffentlichkeit wieder unsichtbarer.
Dies geschehe vor dem Hintergrund eines Konfliktes, der ein geopolitischer, historischer und religiöser ist, der aber in einen Konflikt zwischen Jüdinnen und Juden auf der einen Seite und Musliminnen und Muslimen auf der anderen Seite umgedeutet wird. Geopolitische und historische Konflikte könnten im interreligiösen Dialog jedoch nicht gelöst werden. Für das gemeinsame Leben in Deutschland gehe es darum, Grundlagen zu schaffen und die Bedingungen zu verbessern, dass wir gut miteinander leben können, dass man sich für Meinungen, Lebensweisen und Orientierungen anderer interessiert, dass Meinungen ausgetauscht und respektiert werden und akzeptiert wird, dass grundsätzliche Differenzen eventuell nicht überwunden werden können und man nicht immer einen Konsens finden kann.
Eine neue Streitkultur
In vielen Beiträgen der Tagung, so auch in der Podiumsdiskussion, wurde es dringend notwendig befunden, wieder richtig streiten zu lernen. Diese Appelle bezogen sich auf eine gesellschaftliche Streitkultur, die weit über den interreligiösen Dialog hinausreicht. Zu einer Streitkultur gehöre, unterschiedliche Positionen zu befragen und abzuklopfen, aber auch sich in die Schuhe des anderen zu stellen und Perspektiven zu wechseln, um den/die anderen zu verstehen, jedoch auch auszuhalten, wenn kein schneller oder überhaupt kein Konsens erzielt werden kann. Als Problem wurde diagnostiziert, dass viele vorpolitischen Räume verschwunden oder die Mitgliederzahlen in zivilgesellschaftlichen Organisationen zurückgegangen wären (z. B. Jugendgruppen, Vereine, teilweise Religionsgemeinschaften). Gefordert wurde, dass Strukturen zur Aktivierung und Stärkung der Zivilgesellschaft und Angebote der politischen Bildung massiver und verlässlich gefördert werden und die in diesen Handlungsfeldern dominierende kurzatmige Projektförderung überwunden werden muss. Darin wurde eine wirkungsvolle Investition in eine positive Streitkultur gesehen, die Spaltungen und Blockierungen in der Gesellschaft überwinden könnte.
Handlungsimpulse
Im Verlauf des Gesprächs und in der anschließenden Diskussion mit den Gästen außerhalb der Tagung wurden an verschiedenen Stellen von den Beteiligten Handlungsimpulse angesprochen:
- Angesichts des konstatierten religiös-theologischen Analphabetismus in der Gesellschaft gehe es darum, sich für eine höhere Wertschätzung von Religion und weltanschaulicher Pluralität im gesellschaftlichen Alltag einzusetzen. Plädiert wurde dafür, mit Respekt die vorherrschenden Bedingungen zur Kenntnis zu nehmen, jedoch auch eigene Schwächen und Grenzen eigener Handlungsmöglichkeiten zu akzeptieren.
- Notwendig sei es, Räume, Plattformen und weitere Gelegenheiten zu schaffen, damit Menschen sich treffen und einander zuhören können. Damit könnte ein Rahmen für engagierte Diskurse auf Augenhöhe geschaffen werden.
- Religionsgemeinschaften, vor allem die christlichen, müssten daran arbeiten, ihre Glaubwürdigkeit wieder zu erlangen. Dazu müssten sie sich noch stärker sozial engagieren und mit ihren Angeboten in der Gesellschaft Präsenz zeigen sowie ihre Bereitschaft unter Beweis stellen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.
- Die Wahrnehmung eigener Verantwortung sollte u.a. darin sichtbar werden, als Religionsgemeinschaft, aber auch im Zusammenwirken mit anderen sowie weiteren Kooperationspartnern zahlreiche Projekte auf Ebene der Gemeinden und übergemeindlich zu entwickeln, um auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen und im Bereich der Religionsgemeinschaften zu antworten und zu deren Bewältigung beitragen. Ein wichtiger Aspekt dabei sei zu reflektieren, welche Reichweite die angestrebten Projekte haben können und sollen. Ebenso sei zu klären, in welchen Bereichen die Projekte angesiedelt werden sollen und welche Ebenen in die Realisierung der Vorhaben einbezogen werden sollen. In diesem Kontext müsse auch darüber nachgedacht werden, welche gemeinsamen Arenen für die verschiedensten Vorhaben geeignet sind bzw. geschaffen werden können.
- Weiter wurde in einer Rückfrage aus dem Publikum auf das von dem Theologen Hans Küng initiierte Projekt zur Erarbeitung eines Weltethos hingewiesen und als Orientierung für Dialogforen vorgeschlagen. Dieses global ausgerichtete Konzept zielt darauf, sich im Dialog der Kulturen und Religionen auf einen Grundkonsens an Werten, Normen und Haltungen zu einigen, der als Basis für weitere Dialogforen und für die Arbeit an einer Ausweitung und Stärkung der Gemeinsamkeiten dienen kann. Wobei bezweifelt werden kann, ob der globale Anspruch dieses Vorhabens angesichts der Krise der multilateralen Zusammenarbeit und der wieder verstärkten Aufteilung der Welt in unterschiedliche geopolitische Interessensphären eingelöst werden kann.
- Für den interreligiösen Dialog auf lebensweltlicher, regionaler und übergreifender Ebene müssten von christlicher Seite mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Es wäre wichtig, vor allem Graswurzelinitiativen zu unterstützen und kleine Projekte zu fördern, von denen erwartet wurde, dass sie in Hinblick auf eine Verständigung über Gemeinsames und einer Motivierung zum Zusammenwirken bei der Bewältigung von kleinen und großen Herausforderungen besondere Wirksamkeit entfalten.
- Es sei jedoch auch zu berücksichtigen, dass man in den Gemeinden auch auf Verletzlichkeiten trifft, aus denen Abgrenzungen, Blockierungen und Widerstand auf allen Seiten resultieren kann. Das berge die Gefahr in sich, in den eigenen Gruppen eng um sich zu kreisen und sich nicht für einen wirklichen Dialog zu öffnen. Notwendig sei auch, Menschen für einen interreligiösen Dialog zu schulen, damit sie sich sicher fühlten, dahin zu gehen, wo es weh tut. Das wäre ein wichtiger Impuls, um die Schätze des Glaubens zu entdecken und reflektieren zu können.
- Problematisiert wurde, dass keine muslimischen Organisationen und Verbände im ‚Bayerischen Bündnis für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen‘ mitarbeiten. Ohne näher auf die Hintergründe einzugehen, die zu dieser Situation geführt haben, wurde die Absicht bekundet, aktiv auf diese Gruppierungen zuzugehen, um sie für eine Mitarbeit zu gewinnen. Das Bündnis sei Ansprechpartner gerade auch für die Gruppen, die hauptsächlich im Fokus rechtsextremer Gewalt stehen.
Grundsätzliche Aufgaben wären, die bestehenden Asymmetrien in interreligiösen Dialogen zu überwinden, für Rassismus und rassistische Handlungsweisen zu sensibilisieren, diese zu reflektieren und abzubauen, sich für eine gerechte gesellschaftliche und politische Teilhabe zu engagieren und bestehende strukturelle Hindernisse zu beseitigen. Besondere Aufmerksamkeit ist geboten im Hinblick auf die Situation der Jugendlichen. Hier sind Investitionen dringend erforderlich, um Möglichkeiten und Angebote der Jugendarbeit auszubauen und zu stärken.