Veranstaltungsbericht: Muslimisch, deutsch, beheimatet: Eine Illusion oder Realität?

Von Klaus Waldmann

Deutschland ist eine Migrationsgesellschaft, eine Gesellschaft, die durch Zuwanderung von Menschen unterschiedlicher Herkünfte geprägt ist und für die Zuwanderung aufgrund demografischer und ökonomischer Entwicklungen erwünscht ist. Ziel der Migration ist in der Regel, dauerhaft im Zuwanderungsland zu bleiben. Aus der Zuwanderung resultieren vielfältige kulturelle, soziale und politische Dynamiken, die das gesellschaftliche Leben prägen. Daraus resultierende Debatten sind überwiegend von emotional aufgeladenen und konfliktträchtigen Aushandlungen von Zugehörigkeit geprägt.

Von einer anerkennenden Selbstbeschreibung Deutschlands als Migrationsgesellschaft ist erst in jüngerer Zeit – seit der Wende zum 21. Jahrhundert – die Rede, obwohl in der Geschichte des Landes zahlreiche Migrationsbewegungen zu registrieren sind. Ob Migration dauerhaft, vorübergehend, freiwillig oder erzwungen ist, hat folgenreiche Auswirkungen für das gesellschaftliche Zusammenleben, für Aspekte von Zugehörigkeit, Fremdheit, Anerkennung, Teilhabe und Beheimatung.

Im Zentrum des Projekts MuslimDebate 2.0 steht das Interesse, diese Fragen vor allem bezogen auf Entwicklung, Etablierung und Anerkennung des muslimischen Lebens in Deutschland zu bearbeiten. Ausgangspunkt hierzu sind die Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei aus dem Jahr 1961 mit den in den 1960er Jahren erfolgten Modifikationen und mit weiteren muslimisch geprägten Ländern, die eine verstärkte Präsenz muslimischen Lebens in diesem Land nach sich zogen. Obwohl dieser Prozess nun schon einen Zeitraum von mehr als 65 Jahren umfasst und aktuell Muslim:innen in der dritten und vierten Generation in Deutschland leben, stellt sich immer noch die Frage nach ihrer Beheimatung in diesem Land. Sicherlich nehmen die verschiedenen Generationen eine unterschiedliche Perspektive auf diese Frage ein, doch sind sie noch immer mit Gefühlen von Fremdheit konfrontiert, erleben zahlreiche Ressentiments und Demütigungen und sind darüber hinaus in Konflikten schnell Verdächtigungen einer Radikalisierung ausgesetzt.

In der Podiumsdiskussion ging es darum, wie unter bestehenden Voraussetzungen eine gemeinsame Gesellschaft gestaltet werden kann und welche Handlungsempfehlungen für Politik und muslimischen Gemeinschaften gegeben werden können, damit muslimisches Leben als deutsche Normalität anerkannt wird.

Es diskutierten:

Dr. Evelyn Bokler, Associate Fellow am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies, Universität Bonn

Dr. Osman Kösen, Pädagoge und Theologe, Referent im Niedersächsischen Kultusministerium

Murat Kayman, Jurist, Alhambra Gesellschaft, vormals als Justiziar eines muslimischen Verbands.

Die Gesprächsleitung hatte: Eren Güvercin, Projektleiter „MuslimDebate 2.0“.

Was heißt Beheimatung?

Eingeleitet wurde das Gespräch mit der Frage an die Teilnehmenden des Podiums, wie sie auf einer Skala zwischen eins und zehn den Stand der Beheimatung von Muslim:innen in Deutschland einschätzen. Zunächst wurde zwischen dem individuellen Gefühl und der kollektiven Ebene differenziert. Bezogen auf die persönliche Ebene näherte man sich im Gespräch den Ziffern sechs/sieben an, während die Aussagen zur muslimischen Gemeinschaft sich bei der Ziffer fünf einpendelten. Um die Frage nach Beheimatung beantworten zu können, seien verschiedene Faktoren zu beachten: ein Bündel sozial-emotionaler Aspekte, strukturelle Aspekte, religiöse Praxis, Erfahrungen, Bestandteil der Gesellschaft zu sein, Gefühle der Zugehörigkeit und Anerkennung sowie die Erfahrung als muslimische Gemeinschaft in Deutschland akzeptiert und respektiert zu sein. Dabei sei erforderlich zu differenzieren, wie sich Angehörige der verschiedenen Generationen vor dem Hintergrund der genannten Kriterien in dieser Skala einordnen würden. In anderer Perspektive sei zu reflektieren, ob sich dieses Land real als Heimat deutscher Muslim:innen verstehen würde. Als weiterer Aspekt wurde die Überlegung ins Gespräch eingebracht, ob man sich als Muslim:in unter den gegenwärtigen Debatten in der eigenen Community beheimatet fühlt.

Übereinstimmend wurde festgehalten, dass nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und den anschließenden kriegerischen Auseinandersetzungen sich die Empfindung, in Deutschland beheimatet zu sein, auf muslimischer Seite deutlich verringert habe. Der öffentliche Diskurs über die gegenwärtigen Auseinandersetzungen im Nahen Osten wurde als sehr polarisierend bewertet, was tiefgehende Verletzungen auf jüdischer und muslimischer Seite zur Folge habe. Auch in persönlichen Gesprächen erlebe man einen Zwang, sich im Rahmen einer Kriegslogik zu positionieren, ob man dem „Team Israel“ oder dem „Team Palästina“ angehöre. Wenn man nun die Perspektive von Muslim:innen einnehmen würde und berücksichtige, dass diese persönliche Verbindungen zu Palästina hätten, dann sei nachzuvollziehen, dass diese sich mit ihren Ängsten, Sorgen und Verletzungen angesichts der gegenwärtigen Debatten nicht ernst genommen fühlten. Muslim:innen, so die Einschätzung, würden häufig mit dem Vorwurf des Antisemitismus überzogen. Somit wäre die Erfahrung, dass das Gefühl hier beheimatet zu sein, gesunken sei, vor diesem Hintergrund keine Überraschung. Es wurde darauf hingewiesen, dass solche Empfindungen von radikalen Muslimen genutzt würden, um ihr islamistisches Narrativ zu verbreiten, Muslim:innen seien in Deutschland nicht willkommen und würden nicht dazu gehören.

Strukturelle Hindernisse einer Beheimatung

In einer weiteren Phase des Gesprächs widmete sich die Gesprächsrunde den strukturellen Hindernissen einer Beheimatung von Muslim:innen in Deutschland. Zusammengetragen wurden zahlreiche Faktoren von Benachteiligung und Diskriminierung in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern. Genannt wurden dabei u.a., dass Muslim:innen als fremd und nicht zugehörig gelesen, dass sie auf dem Wohnungsmarkt ungerecht behandelt, dass sie von Behörden nicht diversitätssensibel behandelt, dass ihre Kinder in Schulen oft diskriminiert würden. Ein großes Problem wurde darin gesehen, dass die deutsche Gesellschaft sich erst nach und nach als Migrationsgesellschaft verstehe. Zudem gebe es in der Mehrheitsgesellschaft wenig Wissen über den Islam, über die Herkunftsländer oder über den Nahostkonflikt.

Innermuslimische Diskurse einer Beheimatung – Änderung des Selbstverständnisses von Muslimen

Schließlich widmete sich das Gespräch der Frage, was sich im muslimischen Selbstverständnis ändern müsse, um weitere Schritte in Richtung einer Beheimatung in Deutschland unternehmen zu können.

Als erstes Argument wurde in die Debatte eingebracht, dass in theologischen Äußerungen Deutschland nicht nur als Aufenthaltsort betrachtet werden dürfte, sondern als ein gesellschaftlicher Raum für muslimisches Leben. Muslimisches Leben in Deutschland werde bislang als ein Leben in der Fremde verstanden. Muslimisches Handeln müsste sich demgegenüber auf die gesellschaftlichen Realitäten in Deutschland beziehen und im theologischen Selbstverständnis müssten sich die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen sowie der kommenden Generationen spiegeln. Weiter sei man sich als Religionsgemeinschaft bewusst zu sein, eine religiöse Verantwortung für die Mitgestaltung der Gesellschaft zu haben. Es gehe darum, im gesellschaftlichen Handeln Solidarität zu zeigen, aber auch das Gottesbild im Islam zu reflektieren und über die Rollen von Mann und Frau in der muslimischen Community und im Islam nachzudenken.

Ein anderes Argument bezog sich auf Grundprinzipien einer pluralistischen, liberalen und demokratischen Gesellschaft, für die eine uneingeschränkte und gleichberechtigte Teilhabe essenziell sei. Zwar würden dem Teilhabeanspruch aus Sicht von Muslim:innen Diskriminierungserfahrungen und Zurückweisungen entgegenstehen, jedoch seien Muslim:innen gefordert, sich gestaltend in die Gesellschaft einzubringen. Es wurde sogar dafür plädiert, eine Pflicht für Muslim:innen zu formulieren, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und sich nicht davon zu separieren. Weiter müssten hochproblematische Narrative überwunden werden wie, dass man zu den kriegerischen Auseinandersetzungen um Gaza nicht frei sagen könne, was man darüber denke oder dass es egal sei, was Muslim:innen tun würden, denn den Deutschen würde es eh nicht gefallen und man würde hier nie akzeptiert werden. An einigen Beispielen öffentlicher Diskurse und Aktionen wurde im Gespräch verdeutlicht, dass kritische Äußerungen möglich seien und Argumente auch gehört würden. Wenn jedoch dazu gehöre, dass es den Staat Israel nicht mehr geben soll oder behauptet würde, dass die Hamas keine Terrororganisation, sondern eine Gruppe Widerstandskämpfer sei, dann sei sehr zu begrüßen, dass solche Aussagen zurückgewiesen werden. Gerade nach den Erfahrungen der Shoa müssten Juden und Jüdinnen sich in Deutschland sicher fühlen.

Wichtig sei auch, dass die Dichotomie „Wir gegen Die“ überwunden werde, denn die Vorstellung, dass man sich als abstoßende Gruppen gegenüberstehe, müsse abgebaut werden. Damit ein gesellschaftliches Zusammenleben gelänge, müsse trotz aller Emotionalität in Konflikten, über die sich stellende Fragen sachlich diskutiert werden.

Chancen eines islamischen Religionsunterrichts

Außerdem wurde betont, dass die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts in allen Bundesländern, ein wertvolles Zeichen der Beheimatung muslimischer Jugendlicher in Deutschland wäre. Dies wäre ein wichtiger Beitrag, dass die Schule von ihnen nicht als eine fremde Institution erlebt, sondern als ein Ort, an dem über den Islam und über islamische Feste gesprochen werden könne. Dass man über die eigene Religion auch in deutscher Sprache sprechen könne, damit würden sich Gefühle einer Beheimatung verbinden. Es wäre sehr hilfreich gewesen, wenn nach dem 7. Oktober in einem islamischen Religionsunterricht seelsorgerlich und aufklärend hätte gearbeitet werden können.

Als sehr großes Problem wurde betrachtet, dass es nach über 60 Jahren Migration für die Mehrheitsgesellschaft immer noch sehr schwierig sei, authentische und zuverlässige Informationen über den Islam zu bekommen. Gerade in Hinblick darauf habe der Religionsunterricht ein immenses Potenzial. Ein bedeutender Schritt in Richtung Beheimatung könne über die Schule im Klassenzimmer erfolgen. Das würde schon bei elementaren Dingen anfangen, wenn es möglich ist, die Namen der Schüler:innen korrekt auszusprechen. Zudem wurde betont, es sei problematisch, dass immer schwierige Themen auf der Agenda ständen, wenn über den Islam gesprochen werde. Selbstverständlich sei es notwendig, über die mit dem Islam und dem muslimischen Leben verbundenen Probleme zu sprechen, es sei jedoch auch relevant, das vielfältige zivilgesellschaftliche muslimische Engagement in Deutschland in den Blick zu nehmen, die zahlreichen Muslim:innen, die sich für gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen und für Dialog und Partizipation eintreten würden.

Als wenig hilfreich wurde erachtet, wenn der islamische Religionsunterricht nur immer dann als notwendig erachtet werde, wenn er mit der Aufgabe der Prävention von Extremismus belastet werde und die Vorstellung vorherrsche, der Religionsunterricht solle die Aufgabe einer De-Radikalisierung muslimischer Kinder erreichen. Auf jeden Fall wäre ein vernünftiger islamischer Religionsunterricht das beste Angebot, um einen reflexiven Zugang zur Religion zu ermöglichen und die Diversität im Islam selbst zu begreifen. Das könne auch ein Beitrag dazu sein, die Vermischung von nationalistischem Gedankengut mit islamischen Begrifflichkeiten zu überwinden.

Erwartungen an die Mehrheitsgesellschaft

Grundsätzlich müssten Politik und Gesellschaft begreifen, wurde argumentiert, dass Muslim:innen nicht vorrangig Objekte der Integration, sondern Subjekte gesellschaftlicher und politischer Teilhabe sind. Entscheidend sei Gelegenheiten der Begegnung zu schaffen und dabei positive Erfahrungen zu vermitteln. Es wurde die These vertreten, Islam- und Muslimfeindlichkeit bildeten sich auch aus Unwissenheit aus. Muslim:innen würden als fremd und der Islam als mit der Kultur Deutschlands als nicht vereinbar gelesen.

Festgehalten wurde, dass verfestigte Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus strafrechtlich verfolgt und alle rechtsstaatlichen Mittel ausgeschöpft werden müssen. Es gebe genügend Gesetze, die eine gewisse Rechtssicherheit gewährleisteten und es bestehe Gewissheit, dass der Rechtsstaat sich auch für die Muslim:innen einsetzt. Allerdings dürfe man den Rechtsstaat auch nicht überfordern, denn keine Gesellschaft sei in der Lage, völlig diskriminierungsfreie Räume zu schaffen. Das sei ein Ideal, das es im Bewusstsein anzustreben gelte, diesen gewünschten Idealzustand nicht wirklich jemals erreichen zu können.

In diesem Kontext wurde betont, dass es erforderlich sei, eine gewisse Resilienz aufzubauen. Denn es könne auch nicht darum gehen, Islamfeindlichkeit lediglich an die Polizei oder den Verfassungsschutz zu delegieren. Die Gesellschaft selbst müsse diese Problematik bearbeiten. An dieser Stelle wurde an das Subsidiaritätsprinzip erinnert, das bedeute, dass Probleme ausgehend von der niedrigsten gesellschaftlichen Ebene – lebensweltlich – angesprochen und auf dieser Ebene versucht würde diese zu lösen.

Unterstrichen wurde, dass es im Interesse der Gesellschaft sein müsse, antimuslimischen Rassismus zu bekämpfen und gegen Islamfeindlichkeit einzutreten sowie sämtliche Mitglieder der Bevölkerung zu schützen. Würden Muslim:innen das Gefühl haben, dies erfolge nur unzulänglich, bestünde die Gefahr, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt erodiere. Deshalb müsse die Mehrheitsgesellschaft ein großes Interesse daran haben, gegen Diskriminierung und Stereotypen einzutreten.

Im Kontext dieser Diskurse stelle sich auch die Frage, wer zum WIR einer Gesellschaft gehöre. Von der Mehrheitsgesellschaft werde eine gewisse Diversitätskompetenz und Offenheit gefordert sowie sich bewusst zu sein, dass die Gesellschaft zu einer Migrationsgesellschaft geworden ist. Allerdings wurde angemerkt, dass die muslimische Community selbst die erforderliche Offenheit und Pluralität nicht gewährleisten könne.

Als ein Grund dafür wurde ein verbreitetes apologetisches Religionsverständnis ausgemacht, das besage, die eigene Religion müsse geschützt und verteidigt werden. Was kritisch gegen den Islam gesagt werde, werde als gegen die eigene Person gerichtet verstanden. Wichtig sei, eine gewisse Distanz zur Religion zu bewahren und Räume für Reflexion zu schaffen.

Als eine weitere Thematik bezogen auf die Erwartungen an die Mehrheitsgesellschaft wurde das Spannungsverhältnis zwischen Bekenntnis und Verfassung, also zwischen Koran und Grundgesetz angesprochen. Hervorgehoben wurde, dass das Grundgesetz Freiheit und Gleichberechtigung für alle verspreche. Die Präsenz von Muslim:innen in Deutschland sei für dieses Versprechen von Vielfalt in Freiheit und Gleichberechtigung gewissermaßen ein Lackmustest. Ein großes Hindernis, dieses Versprechen einzulösen sei jedoch, dass in der Mehrheitsgesellschaft die radikalen Strömungen des Islam häufig als authentisches Muslimsein wahrgenommen und verstanden werden.

Deshalb müssten muslimische Gemeinschaften dieser Wahrnehmung der radikalen Strömungen entschieden entgegentreten, indem sie eine größtmögliche Distanz zu diesen einnehmen und die Unterscheidungsfähigkeit zwischen dem eigentlichen Kern der Glaubensüberzeugungen des Islam und den radikalen Strömungen befördern. Damit könne auch verhindert werden, dass Elemente islamistischer Ideologien in die Selbstdefinition der muslimischen Community einströmten.

Beklagt wurde in der Diskussion, dass es keine gemeinsame Plattform der muslimischen Community für Verbände, Vereine und Einrichtungen zu einem übergreifenden Dialog gebe. Es fehle ein gemeinsam akzeptierter Ort, eine Art institutioneller Überbau für eine Versammlung der muslimischen Gemeinschaft jenseits nationaler, kultureller Herkünfte, an dem sich die unterschiedlichen Schattierungen des Islam begegnen könnten. Ziel einer solchen organisatorischen Struktur sollte nicht sein, möglichst in allen Fragen überwältigende Konsense anzustreben, sondern die notwendigen Diskurse in einer definierten Bandbreite islamischer Pluralität zu führen und so die Souveränität muslimischer Gemeinschaften zu stärken sowie gemeinsame Perspektiven für muslimisches Leben in Deutschland zu entwickeln und an ihrer Realisierung zu arbeiten. Hierzu müssten die Religionsgemeinschaften in Verantwortung genommen werden.

Gegenüber diesen Überlegungen wurde Skepsis angemeldet, man dürfe von den Verbänden und Religionsgemeinschaften in einem solchen Prozess nicht zu viel erwarten. Demgegenüber wurde auf die Kraft der Initiativen aus der muslimischen Zivilgesellschaft gesetzt. Diese könne die Chance ergreifen, sich zu vernetzen, miteinander zu kooperieren, gemeinsame Orientierungen zu erarbeiten und den Prozess einer partizipativen Organisierung in Gang zu bringen. Weitere Hoffnungen richteten sich an die Islamische Theologie an den Universitäten.

Welches Bild zeichnen die Medien von den Muslimen?

Medien würden bei der Vermittlung von Vielfalt und Realität muslimischen Lebens in Deutschland eine enorme Rolle spielen, wurde im Gespräch übereinstimmend unterstrichen. Vor dem Hintergrund der in der Gesprächsrunde angesprochenen Themen wurde gefragt, was sich in der Berichterstattung der Medien ändern müsse, um von einer problemzentrierten zu einer teilhabeorientierten Berichterstattung zu kommen. Gefordert wurde, ein komplexeres, möglichst vollständiges, vielschichtiges und differenziertes Bild des Islam und des muslimischen Lebens zu zeigen, ohne die Probleme und Konflikte, die es gibt, zu vernachlässigen. Es läge in der Verantwortung der Medien in ihren Berichten und Nachrichten nicht immer den Mechanismen einer Erregungs- und Empörungsgesellschaft zu folgen und den Wünschen nach Thrill, Nervenkitzel, Aufregung oder der Reproduktion und Bestätigung von Stereotypen nachzugehen und Ressentiments zu stärken. Die Realität von Islamfeindschaft, von Konflikten mit Erregungspotenzial wurde gesehen und sich dafür ausgesprochen, die damit verbundenen Probleme zu thematisieren, denn in Zeiten von Social Media sei die nächste problematische Nachricht nur eine Scrollbewegung entfernt. Jedoch treibe eine auf die Probleme fixierte Berichterstattung die gesellschaftliche Polarisierung immer weiter voran. Es gelte Ressentiments abzubauen. Muslimisches Leben sei nicht primär mit Extremismusprävention, Defiziten und Problemen in Verbindung zu bringen. Dadurch werde die positive Realität muslimischen Lebens unsichtbar gemacht und verschwinde hinter einem dichten Vorhang von Stereotypen.

Medien müssten ihren Beitrag dazu leisten, Denkmuster zu reflektieren, die sich auf der Grundlage eines „Viertelwissens“ gebildet haben und ihren Blick auch auf eine alltägliche Normalität muslimischen Lebens richten. Es bräuchte mehr Diversitätskompetenz, die auch im Rahmen einer diversitätsbewussten, transkulturellen Bildung erworben werden und sich in unterschiedlichen sozialen Kontexten wie Betrieb, Schule, Behörden und Medien gelebt werden könne. Das bestärke ein differenziertes Bild von Muslim:innen in dieser Gesellschaft und die Bereitschaft, nicht Probleme als allgemeinen Ausweis muslimischer Identität wahrzunehmen. Eine Berichterstattung nicht-muslimischer Medienarbeiter:innen über positive Aspekte muslimischen Lebens in Deutschland müsste mit einer selbstkritischen Reflexion von Muslim:innen Hand in Hand gehen. Nur wenn beides parallel erfolge, würde sich die Wahrnehmung muslimischer Präsenz in der Gesellschaft differenzieren.

Man müsse sich jedoch bewusst sein, dass Muslim:innen, die ihre Religion und ihr Leben selbstkritisch reflektieren, sehr schnell mit dem Vorwurf, du bist kein wahrer Muslim, konfrontiert würden. Auch bestehe die Gefahr, von der Mehrheitsgesellschaft als Kronzeuge gegen den Islam in Anspruch genommen zu werden, aber diese Debatten würden auch als Zeichen verstanden, dass Muslim:innen sich um die vielbeschworenen Probleme kümmern, diese nicht ignorieren oder verschweigen würden, sondern nach Lösungen suchten.

Hoffnungen und Erwartungen

In der abschließenden Gesprächsphase war die Prognosekompetenz des Podiums gefragt. Die Vorstellung wurde ins Gespräch gebracht, wenn wir uns in zehn Jahren in dieser Konstellation wiedertreffen, ob dann die Beheimatung von Muslim:innen in Deutschland Realität sei oder bleibe sie Illusion.

Die Diskussionen über Beheimatung hätten sich bis dahin erledigt war die erste Einschätzung. Konstatiert werden könne eine Selbstverständlichkeit muslimischen Lebens in Deutschland. Muslim:innen seien nicht mehr die Fremden im Land, sie hätten in der Gesellschaft den erforderlichen Raum und die Möglichkeit, ihren Glauben in Deutschland zu leben. Die zweite Einschätzung war, dass muslimische Glaubensgemeinschaften ihre institutionalisierte Gleichstellung rechtlich und praktisch erreicht hätten. Muslimisches Leben werde im Alltag als zugehörig und normal empfunden und nicht mehr als anders markiert. Konkretisiert wurde dieser Ausblick in Hinblick auf die Situation in Schulen. Vielfalt und Diversität wäre dann auch im Lehrerzimmer wie auch in Gremien und Konferenzen sichtbar und nicht nur auf dem Pausenhof. Mit etwas Zurückhaltung wurde zu bedenken gegeben, dass wir wahrscheinlich auch in 30 Jahren nicht alle Fragen beantwortet und alle Probleme gelöst hätten, denn die Herausforderung der Diversität sei kein Kurzzeitprojekt. Die dritte Prognose war, dass bis dahin die Formulierung und Selbstbeschreibung als deutsche Muslimin und deutscher Muslim nicht mehr als Zumutung und Widerspruch empfunden werde, sowohl von Muslim:innen, als auch von Nicht-Muslim:innen. In Anklang an eine vor einigen Jahren prominent gewordene Aussage wurde bekräftigt, Muslim:innen können das schaffen.

Resümierend wurde am Ende des Gesprächs festgehalten, dass Beheimatung ein dynamischer Prozess auf individueller und kollektiver Ebene sei, bei dem Hürden und Hindernisse zu überwinden seien. Beheimatung erfordere auch einen innermuslimischen Diskurs, um von einer bedingten Integration zu einer selbstverständlichen, aktiven Zugehörigkeit zu kommen. Sie sei ein gemeinsames Projekt, jedoch vor allem eine theologische und zivilgesellschaftliche Selbstermächtigung von Muslim:innen. Es seien schon wichtige erste Schritte gegangen worden, aber darauf müssten zwingend weitere folgen.

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