Bericht: Was ist ein ‚Politischer Islam‘?

Was ist ein politischer Islam? Zusammen mit Prof. Dr. Armina Omerika, Prof. Dr. Mathias Rohe und Rusen Timur Aksak aus Wien sind wir dieser Frage auf den Grund gegangen. Der politische Islam beschäftigt nun seit Wochen und Monaten die deutsche und österreichische Politik. In dieser Diskussionsrunde wurden die Anfänge des politischen Islams und ihr historischer Kontext aufgezeigt und auch versucht eine Definition des politischen Islams zu geben. So klar dieser Begriff auf dem ersten Blick zu sein scheint, um so komplexer wird er, wenn man ihn sich näher anschaut. Eine Aufgabe der Dokumentationsstelle Politischer Islam in Österreich, die eingerichtet werden soll, ist es, diesen Begriff versuchen zu definieren.

Die Aufzeichnung der Diskussion auf YouTube

Prof. Omerika: „Grundsätzlich ist es so, dass der Begriff „Politischer Islam“ auch häufig gebraucht wird, um einen anderen, mindestens genauso umstrittenen Begriff zu vermeiden, der so in der Wissenschaft als auch in der Öffentlichkeit benutzt wird, nämlich der Begriff Islamismus. Beide Begriffe werden auch aus verschiedenen Gründen kritisiert, unter anderem deshalb, weil sie halt trotzdem das ganze Spektrum, auf das sie sich beziehen, nicht eindeutig abdecken können und weil sie die Unterschiede zwischen diesen verschiedenen Bewegungen, die darunter subsumiert werden vielleicht auch verschleiern oder nicht deutlich herausstellen. Ich sehe Definitionsmöglichkeiten des Begriffs Politischer Islam auf mehreren Ebenen.… Legitimation von Staatlichkeit nicht etwa durch Volkssouveränität, wie wir das ja aus liberalen Demokratien kennen, sondern im Prinzip von einer vermeintlich göttlich sanktionierten Ordnung. Es geht also nicht von unten aus, es geht auch nicht von Bewegungen aus, also sozialen Bewegungen der Basis aus, sondern das ist der politische Islam, der von Regierungen aktiv genutzt wird, um sozusagen politische Mobilisierung zu schaffen, aber meistens halt, um eigene Autorität zu legitimieren. Was man aber in den letzten 10-15 Jahren beobachten kann, würde ich sagen, ist eine neue Form, nämlich dass man religiöse Symbolik, religiöse Praktiken, religiöse Sprache benutzt, um vielleicht andere Formen oder Ideologien zu legitimieren, die dahinterstecken. Also in Kombination mit völkischen Ideologien, also religiöser Nationalismus, der im Moment zumindest in der Türkei sehr stark zum Tragen kommt. Und wo man versucht mit der Religion zu mobilisieren und gleichzeitig auch eigene, immer mehr und mehr, autoritäre Positionen zu stärken.“

Auf die Behauptung der Islam könne Religion und Politik nicht trennen, geht Prof Rohe folgendermaßen ein: „Darf eine Religion nicht auch eine politische Dimension aufweisen? Das ist eine missverstandene Säkularität, wenn man meint, die religiöse und auch weltanschauliche Stimme habe keinen Platz in der politischen Debatte. Das Gegenteil ist doch der Fall, wenn wir Parlamentsanhörungen nehmen, wenn es um die ersten und letzten Fragen des Menschen geht, von Geburtenkontrolle bis hin zu Sterbehilfe. Da werden doch selbstverständlich auch RepräsentantInnen religiöser Gemeinschaften mit ihrer Expertise eingeladen und können sich dazu äußern. Sehr wohl kann Religion auch ihre Rolle in der politischen Debatte haben. Wo es problematisch wird, ist, wenn Religion versucht, staatliche Machtbefugnisse in die Hand zu nehmen.“

Um nun zwischen den Menschen unterscheiden zu können, die antidemokratische Intentionen aufweisen von denen, die einfach von ihrem Recht auf Religionsfreiheit Gebrauch machen, müsse man methodisch vorgehen.

Prof. Rohe: „Man kann methodisch gar nicht sorgfältig genug sein. Methodisch sorgfältig heißt erstens: Es müssen die richtigen Leute an diese Sache ran, die auch was davon verstehen. Die Zahl der Islamexperten, die das eher so hobbymäßig machen, überschreitet die Zahl der Muslime ja ganz gewaltig. Wir brauchen klare Fragestellungen in diesen Zusammenhängen. Und wir müssen aufpassen, dass wir nicht von vorneherein diesen Begriff des Politischen Islam mit konkreten Dingen falsch definieren und dann Rückschlüsse ziehen auf diejenigen, die das vertreten. Konkretes Beispiel: Kopftuch. Es gibt Leute, die sagen, das Kopftuch, und zwar jegliches Kopftuch auf dem Haupt einer muslimischen Frau ist ein Zeichen des politischen Islamismus. Und dann wird jeder, der der Auffassung ist, eine Frau sollte aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, auch Frauen selber gibt’s ja, die dieser Überzeugung sind, die sind dann schon Vertreter des politischen Islam. Das halte ich für außerordentlich gefährlich.“

Die Rolle der Religionsgemeinschaften und Verbände wurde in der Gesprächsrunde ebenfalls thematisiert. Prof. Omerika: „Leute, die offen kritisieren und nach Außen gehen, das sind dann die Nestbeschmutzer und die sind unbeliebt. Oder die werden irgendwann unbeliebt und diesem Risiko möchte man sich auch nicht aussetzen. Was man aber dabei übersieht, ist eine Sache: So kann man es vielleicht noch in dieser Generation schaffen, aber in der nächsten Generation schon bleiben halt eben nur diejenigen, die der Kommentator im Chat gerade „Die neuen Funktionäre mit dem gleichen Mindset“ genannt hat, aber das werden nicht viele sein. In der übernächsten Generation wird schon niemand mehr da sein. Warum? Weil junge Menschen einfach auf diese inhaltsleeren Hülsen einfach keine Lust mehr haben. Man wird in die Moschee kommen, um zu beten und dann wird man wieder gehen. In meinen Augen führen viele Vertreter des organisierten Islams eine Debatte, die man irgendwie noch Ende 90er noch hatte. Ich habe nicht das Gefühl, dass man da irgendwie viel weitergekommen ist. Es geht immer um dieselben Sachen und dass man einfach verpasst hat, dass die Welt sich weiterentwickelt hat. “

Rusen Timur Aksak sieht eine ähnliche Entwicklung. Die Hoffnung, dass mit einem Generationenwechsel die Probleme sich in Luft auflösen, hat sich als falsch entpuppt: „Die Vorstellung, dass nur weil es einen Generationswechsel gibt, auch damit ein Mentalitätswechsel einhergeht, hat sich leider als falsch erwiesen, zumindest bei uns in Österreich. Ich beobachte eher das Gegenteil. Es sind dann eher die Kopien der Altvorderen.“ Prof. Rohe: „Ich halte es für vollkommen geboten und nicht entschuldbar auf der anderen Seite, wenn man es nicht tut, sich zum Leben in dieser Gesellschaft zu positionieren. An der Stelle denke ich, dass es der jungen Generation leichter fällt, sich in der Zivilgesellschaft zu positionieren. Aber ich gebe Ihnen völlig recht, neu positionieren heißt noch keineswegs, sich demokratisch rechtstaatlich zu entwickeln. Und in der Tat denke ich auch, es ist die Zeit gekommen, wenn Organisationen beanspruchen, inländische Organisationen, Religionsorganisationen zu sein, dann kommen sie nicht drum herum, sich mit den Aspekten ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.“

Die Diskussion gibt es auch als Podcast auf Spotify
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