Die gesellschaftlichen Gräben vertiefen sich. Die Abgrenzung gesellschaftlicher Gruppen nach identitären Vorstellungen gewinnt zunehmend an gesellschaftlicher Akzeptanz. Besonders in Zeiten des politischen Wahlkampfes nimmt das Bestreben um klare Unterscheidung vom politischen Gegner und in der Frage, zu welchen Themen politischer Handlungsbedarf besteht, zu. Die Gefahr polarisierender Äußerungen wird größer. Die Demokratie lebt von demokratischer Wachsamkeit. Dazu ein Auszug aus der Muslim Debate 2.0 Handreichung zum Thema „Demokratiefeindlichkeit in Deutschland“:
„Der Begriff des „christlich-jüdischen Abendlandes“ kann auch in ein „zentrale[…][s] Ideologem“ integriert werden: den Ethnopluralismus. Dieses Ideologem entstand als Anpassung rassistischer Artikulation an veränderte gesellschaftliche Bedingungen. Auf die zunehmende öffentliche Sensibilität gegenüber der Äußerung rassistischer Denkweisen, reagierte man, indem eine mildere Ausdrucksweise gesucht wurde, die die Substanz rassistischen Denkens nicht antastete. Auch die bürgerlich-demokratische Rechte distanziert sich, wenn Rassismus vulgär und offen artikuliert wird. Deshalb wurde für diesen ein salonfähiges Gewand geschaffen.
Es handelt sich um eine Weltanschauung, welche behauptet, dass Gesellschaften auf Grundlage kultureller Homogenität nach Ethnien getrennt werden sollten, weil vermeintlich ‚fremde‘ Einflüsse die Gesundheit der ‚Identität‘ eines Volkes bedrohen. Innergesellschaftliche und globale Konflikte ließen sich angeblich nur durch die Fokussierung auf die eigene Besonderheit lösen. Die „früher übliche Hierarchisierung von Gruppen, Völkern oder ‚Rassen‘“ wurde eingetauscht gegen die vermeintliche Aufrechterhaltung von „Unterschieden zwischen den verschiedenen Gruppen von Menschen“, arbeitet Stephan Grigat heraus.
Damit hat die Neue Rechte den Kampf progressiver Gruppen für „die Emanzipation des Menschen […] [, also] um Rechtsgleichheit der Verschiedenen“ gekapert, indem auf den Begriff der ‚Differenz‘ ein rassistisches Ideologem aufgepfropft wird. Der progressive Kampf um „Rechtsgleichheit der Verschiedenen“ wird umgekehrt, „indem […] auf die Differenz von Völkern und Kulturen“ gepocht wird. Was gut zur politischen Rechten passt, die, wie es der Historiker Volker Weiß feststellt, seit eh und je um „Ordnungen der Ungleichheit“ kämpft.
Die salonfähige Reformulierung des Rassismus ermöglicht es auch, sich von historisch vorbelastetem Vokabular zu verabschieden und sich selbst als harmlos darzustellen. Dabei ist die Vorstellung des Ethnopluralismus auch zutiefst antisemitisch aufgeladen, wie sich in der Erzählung des vom französischen Schriftsteller Renaud Camus geprägten ‚Großen Austausch‘ zeigt. Der Ethnopluralismus sei nur eine Reaktion auf eine vermeintliche Vermischung von Kulturen, die nicht ziellos und ungeplant ist. Hinter all dem werden ‚böse‘ Kräfte vermutet, die planmäßig die Auslöschung ‚reiner Ethnien’ betreiben würden. Jüdinnen und Juden werden als ‚fünfte Kolonne‘, als nicht dem Volk zugehörig und somit als innerer Feind inszeniert, da sie die Personifikation dieser Kräfte seien. Dieser salonfähige „Rassismus ohne Rassen“ stellt wahrscheinlich lediglich eine „Übergangsformation auf dem Weg zu einer Renaissance eines biologistischen, quasi klassischen Rassismus“ dar.“ (S. 19, 20 „Falsche Freunde und echte Feinde: Die Rechte und ihr Verhältnis zu Judentum und Israel / von Monty Ott“)
Zur demokratischen Wachsamkeit aus muslimischer Perspektive gehört die Wahrnehmung, dass die hier beschriebenen Phänomene der „Ordnung der Ungleichheit“ und des Pochens auf „Unterschieden zwischen den verschiedenen Gruppen von Menschen“ kein Alleinstellungsmerkmal der Rechtsradikalen ist. Auch in einem identitären muslimischen Religionsverständnis können solche Vorstellungen als Grundlage der vermeintlichen Überlegenheit der eigenen religiösen Gruppe wirksam sein.