Wenn drei Frauen und eine Moderatorin sich diesem Thema widmen, dann lassen Kritiken nicht lange auf sich warten. Eine Frauenrunde redet über Männer?
Aber die vereinzelten Befürchtungen, dass der muslimische Mann Zielscheibe dieses Panels sein könnte, wurden bereits am Anfang entkräftet. Maryam Kamil Abdulsalam: „Wenn wir jetzt vom Titel der Veranstaltung, so wie ich sie verstanden habe, sprechen, dann sprechen wir ja nicht gerade über Männer, sondern wir sprechen über unsere Erfahrungen als Frauen in einer, wie wir behaupten oder empfinden, männergeprägten Community. Und für mich stehen Fragen im Vordergrund wie: Wie macht sich das im Alltag bemerkbar? Welche Strukturen stehen dahinter? Wo und in welchen Punkten kollidiert es mit unserem Frauenbild, also unserem selbstempfundenen Frauenbild? Und auch dem Frauenbild, das man uns zuschreibt? Und dann muss man natürlich auch über Männerbilder sprechen, aber ich stelle an mich selbst schon den Anspruch, über unsere Erfahrung und unsere Perspektiven als Frauen zu sprechen, und jetzt nicht über DEN muslimischen Mann.“
Refiye Ellek, die in ihrem Podcast Themen wie Feminismus, Sexismus, Liebe in migrantischen Kontexten behandelt, freute sich gar über die Kritik. „Es passiert nicht oft, dass in diesen Kontexten nur Frauen aus unserer Community darüber sprechen. Und dass wir diese Kritik bekommen haben, zeigt, dass es anscheinend an den richtigen Stellen gestört hat“
Muslimische Frauen, die das Rückgrat der muslimischen Gemeinden darstellen und auch die meiste Gemeindearbeit stemmen, werden in der Regel weder im Vorstand, noch in der Öffentlichkeit repräsentiert. Ihre Arbeit und ihr Leben finden zu oft im Hintergrund statt und bekommen kaum bis gar keine Anerkennung. Dies erfahren die Frauen auf verschiedenster Ebene, auch in der Moschee selbst, wie Maryam Kamil Abdulsalam bemerkt: „Mir ist irgendwann einmal aufgefallen, dass die Freitagspredigt zum Beispiel immer nur Männer anspricht. Dann denke ich mir aber, nun ja, 50% derjenigen, die hier zuhören, sind Frauen. Warum sprecht ihr nur die Männer an?“
Und auch wenn Frauen eine Stelle oder ein Posten angeboten bekommen, dann ist es fast immer die der Frauenbeauftragten, bei der der Aufgabenbereich nur auf die Frauenangelegenheiten begrenzt wird. Die Frustration über diese Einschränkungen zeigte sich nicht zuletzt mit dem Rücktritt von Fatma Akay-Türker, der IGGÖ-Frauensprecherin in Österreich. Aber auch hier in Deutschland machen Frauen die gleiche Erfahrung.
Iman Andrea Reimann: „Es wurde mir einmal angeboten in einen Vorstand zu gehen. Ich wäre die erste Frau gewesen in diesem Vorstand. Aber ich wäre Frauenbeauftragte geworden. Und das war genau das, was ich nicht haben wollte. Ich habe abgelehnt, da ich diese Organisation nur als Frauenbeauftragte vertreten würde. Und das war nicht meine Vorstellung. Wenn, dann möchte ich in einen Vorstand aufgenommen werden, um dann sozusagen wirklich mit allen die dort beteiligt sind, mitzudenken und zu organisieren.“
Es wurde deutlich, dass die Probleme, insbesondere die der Gemeinden, in den Strukturen liegt, die die problematischen und alten Vorstellungen und Bilder festigen und reproduzieren. Diese Strukturen aufbrechen zu wollen, oder diese zu hinterfragen und zu kritisieren, ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht leicht. Iman Andrea Reimann: „Es geht nicht darum, die Männer aus der Moschee zu schmeißen oder eine Frauenmoschee zu gründen, damit wir endlich unter uns sind und all das genießen dürfen, was die Männer genießen. Das verstehe ich nicht unter islamischem Zusammenleben, sondern dass wir für jeden die Zugangsmöglichkeiten schaffen. Das würde ich mir schon sehr wünschen, aber da ist noch sehr viel Luft nach oben.“
Da die Strukturen der Gemeinden aber nicht das einzige Problem darstellen, sondern nur ein Teil davon sind, ging es in der Diskussion auch darum, dass die Verhältnisse und Strukturen innerhalb der Familien nicht weniger problematisch sind und diese auch offen angesprochen werden müssen. Refiye Ellek: „Wenn wir über Männerwelten in der muslimischen Community sprechen, müssen wir auch über diese gesellschaftlichen und familiären Strukturen sprechen, die nach meiner Wahrnehmung bei einem größeren Teil noch viel emotionaler und auch traumatischer sind. Das muss auf jeden Fall besprochen werden und es tut auch weh, gerade in so einem öffentlichen Kontext darüber zu sprechen, wo sowieso so vieles in unserer Community kritisiert wird. Es wäre schöner, wenn man das im Jahr 2020 nicht so öffentlich besprechen müsste. Aber anscheinend führt daran kein Weg vorbei.“
„Das, was wir von unseren Familien damals mitbekommen haben, war, mach die Hausarbeit, hilf deinen Brüdern, mach dies und jenes, sei nicht zu laut, sag nicht zu viel über die Art und Weise, wie du die Welt siehst, deine Meinung behältst du lieber für dich. Und das ist sehr toxisch für uns Mädels, die in dieser Gesellschaft aufwachsen“, so Refiye Ellek.
Innerfamiliäre Probleme mit anderen zu besprechen, oder gar öffentlich anzusprechen, stellt immer noch ein sehr großes Tabuthema da, da es den Schein einer wohlfunktionierenden muslimischen Familie widerspricht und die Illusion nach außen hin zerstört. Refiye Ellek: „Nur weil man eine muslimische Familie ist, heißt es nicht, dass wir keine Probleme mit Alkoholismus haben. Oder Spielsucht. Diese Themen sind Fakt und ich glaube, wir müssen begreifen, uns auch einzugestehen, dass wir uns einander nicht verraten! Wir verraten nicht unseren Islam! Es geht hier um Menschen. Ich glaube, wir brauchen die Ehrlichkeit miteinander mit den Themen, die in der Gesellschaft vorkommen. Es geht nicht darum zu sagen, wir sind alle schlecht oder DIE Muslime sind schlecht. Nein, wir sind Menschen und wir müssen uns einander zuwenden.“
Maryam Kamil Abdulsalam: „Ich habe das Gefühl, selbst wenn man anders aufgewachsen ist, dass man sich trotzdem durch dieses strukturelle Vorleben sehr viel durch diese Vorbilder aneignet. Das hat mir nochmal vor Augen geführt, wie schwer es ist, sich von diesen Idealvorstellungen, oder diesen vorgelebten Rollenbildern zu distanzieren, obwohl man eigentlich im Kopf schon ganz wo anders ist.“
Diese Rollenbilder zu knacken, darüber zu reflektieren und sich von ihnen zu emanzipieren, ist nicht nur die Aufgabe der Frauen, sondern insbesondere auch die der Männer. Und um dies zu bewerkstelligen, benötige junge Männer auch Vorbilder, die ihnen dies vorleben. Refiye Ellek: „Wenn du jemanden siehst, der als Mann seine eigenen Privilegien hinterfragt, sollte dir das immer ein Signal dafür sein, es ihm gleich zu tun und ihm vielleicht auf diesem Weg zu helfen.“
Dass die Emanzipation der Männer aber eine ganz andere als die der Frauen ist, erörtert Maryam Kamil Abdulsalam folgendermaßen: „Vieles stockt auch in der Entwicklung der Frauen oder dem Aufbegehren der Frauen, weil der Leidensdruck noch nicht so groß ist. Umso weniger groß ist er bei den Männern. Weil sie sich auch nicht von diesen Geschlechtervorbildern oder Rollen emanzipiert haben, aber bei ihnen, im Gegensatz zu uns, ist es ja mit sehr vielen Privilegien verbunden ist. Und sich von seinen Privilegien zu emanzipieren, dazu muss man extrem reflektiert sein. Ich glaube auch, dass gute, sichtbare Vorbilder fehlen, die all das schon durchbrochen haben und es sehr bewusst vorleben. Ich habe die letzten Jahre auch gedacht, dass wir muslimischen Frauen auch relativ wenig Vorbilder haben, die hier in Deutschland aufgewachsen sind, die sich ihren Platz hier erkämpft haben, aber ihre Religion ihnen trotzdem wichtig ist. Ich glaube, dass es auch muslimischen Männern ähnlich geht, dass sie sagen, dass sie gar kein Vorbild haben. Kein Jugendlicher kann sich sehr selten mit einem Hodscha identifizieren. Diese Vorbilder, die eine gute, reflektierte Männlichkeit repräsentieren, sind selten.“ Wenn ein gesundes, reflektiertes Miteinander gelingen soll, müssen sich beide, Mann und Frau, von den alten Geschlechterrollen emanzipieren und sich gegenseitig empowern. Denn am Ende ist es ein Kampf gegen Ungleichbehandlung und für eine kritische Auseinandersetzung von Religion und Geschlecht.