MuslimDebate: Antischwarzer Rassismus unter Muslimen

Antischwarzer Rassismus ist nicht erst seit der Ermordung George Floyds ein Problem. Antischwarzer Rassismus ist ein Problem, das sich durch Jahrhunderte hinweg durch die Geschichte aller Länder mit Kolonialgeschichte zieht. Es ist nicht das erste Mal, dass schwarze Menschen deswegen auf den Straßen protestieren. Aber an den Protesten der letzten Wochen beobachtet man, dass sie eine neue Qualität gewonnen haben. Auch hier in Deutschland ist dies zu beobachten.

Dies nahmen wir im Rahmen unseres Projekts MuslimDebate zum Anlass, um über antischwarzen Rassismus in Deutschland im Allgemeinen und über antischwarzen Rassismus unter Muslimen im Speziellen zu diskutieren. An der von Eren Güvercin (Alhambra Gesellschaft e.V.) moderierten Diskussionen nahmen als Diskutant*innen Aminata Touré (Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages und Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen), Karima Benbrahim (Leiterin des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit IDA-NRW), und Dr. Onur Suzan Nobrega (Institut für Soziologie, Goethe-Universität in Frankfurt am Main) teil.

Die Aufzeichnung der Diskussionrunde auf YouTube.

Warum sich mit antischwarzem Rassismus jetzt intensiver auseinandergesetzt wird, hat für  Aminata Touré verschiedene Gründe: „Ein Phänomen beispielsweise ist ja, dass durch die Coronakrise gerade auch schwarze US-AmerikanerInnen am meisten unter dieser Krise leiden. Dazu haben wir eine politische Situation, in der es mit einem Präsidenten wie Trump einen krassen Rollback gab. Und dann haben wir es mit einem Fall brutaler Polizeigewalt zu tun, die durch das Video ausführlich dokumentiert wurde. Da schätzen einige jetzt schon die Situation so ein, dass es möglicherweise auch das Zusammenknallen mehrerer gesellschaftlicher Konflikte auf einmal waren, die dazu geführt haben, dass man gesagt hat „Enough is enough!“. Insgesamt sind es, glaube ich, mehrere Faktoren, die dazu geführt haben, dass nicht nur in den USA, sondern weltweit diese Bewegung dann auf die Straße gegangen ist.“

Die Frage, ob es Rassismus in der Gesellschaft gibt oder nicht, steht kaum mehr zur Debatte. Die eigentliche Frage ist eher, woher dieser Rassismus kommt, nicht nur in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft, sondern auch zum Beispiel der antischwarzer Rassismus bei Muslimen. Karima Benbrahim, Leiterin von IDA-NRW, betont, dass die Gesellschaften durchzogen seien von Bildern und Narrativen aus der Geschichte des arabischen Sklavenhandels: „Die Geschichte des arabischen Sklavenhandels bis hin zum europäischen Kolonialismus sind so tragfähig, dass wir daran bis heute arbeiten.“ Benbrahim spricht von 3 Facetten: „Es ist ein biologistischer Rassismus, den man an aller erster Stelle sehen muss. Der kolonial-rassistische Kontext, den wir überhaupt nicht verschleiern können. Und der Sklavenhandel, der bis in die 2000er ging.  Wir haben eine Kontinuität von Sklavenhandel und Menschenhandel, der über den schwarzen Körper verhandelt wird.“

Aus diesen langanhaltenden Kämpfen und Auseinandersetzungen der Schwarzen Menschen lernten auch andere Minderheitengruppen und bekamen plötzlich eine Sprache, das auszudrücken, für das sie vorher keine Worte hatten.

Dr. Onur Suzan Nobrega, die sich seit langen Jahren wissenschaftlich mit dieser Thematik beschäftigt, sagt: „Ich habe sehr viel gelernt von dem Wissensarchiv Schwarzer Menschen und von ihren Rassismuserfahrungen, für die wir als türkeistämmige MigrantInnen der sogenannten 2. Generation selbst ja noch nicht einmal eine Sprache hatten. Von daher glaube ich, dass vor allem auch afro-amerikanische Geschichte globale Imaginationen vieler Menschen, die sich von Rassismus betroffen fühlen, stark geprägt hat.“

Viele nichtschwarze Muslime, die selbst Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen machen, sagen und glauben, dass sie selbst niemals RassistInnen sein könnten. Diese Fehleinschätzungen seien Folgen falscher Selbstwahrnehmung und einer gewissen Geschichtsvergessenheit. Dies habe auch zur Folge, dass in den jeweiligen sogenannten Herkunftsländern der deutschen MuslimInnen keine Rassismusforschung betrieben werde. Dass es ein Desiderat, also eine Forschungslücke in der Rassismusforschung in Bezug auf die muslimische Welt gibt, betont Onur Suzan Nobrega wie folgt: „Als Wissenschaftlerin habe ich mich dafür interessiert, weil ich in der kritischen Rassismusforschung wie auch in der postkolonialen Theorie eine ganz große Lücke gesehen habe. Wenn es um die arabische Kolonialgeschichte geht, sieht es etwas besser aus, was aber die osmanische Kolonialgeschichte und ihr Erbe in der Türkei und in der türkischen Diaspora angeht, gibt es ganz wenig dazu.“

Dieses Fehlen einer kritischen Rassismusforschung bzw. die fehlende Selbstreflektion der nichtschwarzen Muslime können dann zu mehr als fragwürdigen Aussagen wie „Deutschlands Schwarze sind die Türken!“ führen. Wie reagiert man auf so ein Statement und was sind die Folgen von solchen Aussagen?

Aminata Touré: „Nein, die Schwarzen sind die Schwarzen. Punkt. Ich habe erst im Nachhinein gemerkt, welche Frage mir da eigentlich gestellt worden ist. Und ich halte das für ein stückweit problematisch, weil das auch zu einer Unsichtbarmachung führt. Es gibt unterschiedliche Minderheiten in dieser Gesellschaft, die unterschiedliche rassistische Erfahrungen machen, und wir brauchen Minderheiten nicht zu ersetzen mit anderen Minderheiten, um deutlich zu machen, welche Problematik es gibt. Das Phänomen des antischwarzen Rassismus ist eins, das global ist. Und deswegen braucht man kein Äquivalent in Deutschland, um das zu beschreiben. Ich halte es für eine Unsichtbarmachung einer Problematik einer Minderheit, die in Deutschland existiert.“

Karima Benbrahim sieht diese Aussagen auch als problematisch an: „Mit solchen Aussagen kommt es einerseits zu einem Aneignungsprozess. Black Lives Matter ist nicht All Lives Matter oder Turkish Lives Matter, sondern es ist eine für sich entstandene Bewegung aus der Historie heraus, die global antischwarzen Rassismus adressiert. Und das ist sozusagen die Kontinuität. Das heißt, Aneignungsprozesse passieren in einer rassifizierten Community.“

Die nicht aufgearbeitete Geschichte in den Herkunftsländern führt zu bestimmten Reflexen auch hier in Deutschland. Benbrahim: „Wir bringen Narrative mit aus familiären Kontexten, auch Geschichten. Wenn ich aus marokkanischer Sicht heute sage, dass es einen Fleck einer schwarzen Geschichte in Marokko gibt, die nicht aufgearbeitet ist, dann ist es relevant für eine Diskussion hier über das Marrokanischsein, weil hier sofort eine Homogenisierung stattfindet. Marokkaner sind alle arabisch sozialisiert, die Imazighen sind auf einmal weg, die Schwarzen Marokkaner sind auf einmal gar nicht mehr visible. Wir müssen auch in unseren PoC Communities, muslimischen Communities und darüber hinaus eine Sensibilität entwickeln und keine Vereinnahmungsstrategien.“

Weiter muss bedacht werden, dass die schwarzen MuslimInnen nicht nur in den jeweiligen Kulturen der Herkunftsländer unsichtbar gemacht werden, sondern innerhalb der Religion des Islam auch. Wie überall in der globalen Geschichtsschreibung wird auch in der islamischen Geschichtsschreibung die Geschichte gewhitewashed. Um aber den Vorwürfen von Rassismus entgegenzutreten, werden immer wieder einzelne Personen als Beispiele genannt.

Karima Benbrahim: „Die Wenigsten kennen außer den Prophetengefährten Bilal irgendeinen muslimischen schwarzen Menschen, der in Ahl al-bayt den Propheten (s.a.s.) begleitet hat. Wer sind diese Menschen? Die Geschichte wird nicht nur gewhitewashed, sondern es wird daraus keine schwarze Geschichte gemacht, die Erfolge mit sich bringt.

Aminata Touré merkt, dass die öffentlichen Debatten, die jetzt weltweit geführt werden und denen man sich medial und gesellschaftlich nicht mehr entziehen kann, den Menschen neue Anstöße mitgegeben, diese Themen auch innerhalb der eigenen Communities zu diskutieren: „Nicht nur in der türkischen Community oder muslimischen Community, sondern auch in der indischen Community beispielsweise wird dieses Thema diskutiert. Prominente Personen konfrontieren ihre große ZuhörerInnenschatft damit, sich mit antischwarzem Rassismus innerhalb der eigenen Communities auseinanderzusetzen. Und das ist ein Punkt gewesen, über den wir vorher nie in der Breite und vor allem öffentlich diskutiert haben. Es hatte unterschiedliche und in Teilen auch nachvollziehbare Gründe gehabt, dass es nicht öffentlich, sondern wenn dann communityintern gehalten wurde, weil allein das Phänomen Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft gar nicht akzeptiert war.“

Die Audioaufzeichnung der Diskussion gibt es auch als Podcast bei Spotify
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