Ein Bericht von Klaus Waldmann, Berlin
Diese schlichte und doch nicht einfach zu beantwortende Frage bildete die Überschrift zur Auftaktveranstaltung zum Start des Projekts „MuslimDebate 2.0 – Gesellschaft gemeinsam gestalten!“ im Festsaal der Humboldt-Universität Berlin am 2. März 2023. Wie der Titel des Projekts verspricht, stand im Mittelpunkt der Veranstaltung eine Diskussion um die Debattenkultur in Deutschland und die damit verbundenen Herausforderungen für die muslimischen Community.
Als Vorsitzende der Alhambra Gesellschaft e. V. begrüßte Prof. Dr. Nimet Seker die Teilnehmenden, gab einen kurzen Einblick in die Anliegen des Vereins. Weiter begründete sie, weshalb die Vereinigung besonders für die Gestaltung der Debattenkultur in Deutschland und die Stärkung der Teilhabe von Musliminnen und Muslimen in der Gesellschaft engagiert. Sie betonte, dass sich in Verbindung mit verschiedenen Migrationsbewegungen seit vielen Jahren eine islamische Glaubens- und Lebenspraxis in Deutschland und Europa entwickelt hat. Ein zentrales Anliegen der Alhambra Gesellschaft ist, die vielfältige und gelegentlich auch widersprüchliche muslimische Lebenswelt für die nicht-muslimische und die muslimische Öffentlichkeit in Deutschland sichtbarer zu machen. Zu oft wird in den Debatten z. B. über den Islam ein homogenes Bild der muslimischen Community konstruiert und die heterogene, plurale Identität von Musliminnen und Muslimen nicht wahrgenommen. Ihre These ist, dass Musliminnen und Muslime selbstbestimmt und selbst-bewusst über ihre Rolle in Deutschland nachdenken und sich auf eine kritische Debatte mit allen anderen Teilen der Gesellschaft einlassen müssen. Der Deutschen Islamkonferenz dankte sie für die Förderung des Projekts.
Dr. Michael Griesbeck, Vizepräsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hebt in seinem Grußwort hervor, dass eine gelungene Kommunikation der Schlüssel für ein gutes Zusammenleben ist. Das BAMF als Träger der Geschäftsstelle der Deutschen Islamkonferenz versteht sich als Partner bei der Realisierung dieses ambitionierten Vorhabens. Er betont, dass der innermuslimische Dialog ein substanzieller Schwerpunkt der Deutschen Islamkonferenz ist und würdigt ausdrücklich, dass mit dem neuen Projekt ein Schritt über die innermuslimische Debatte hinausgegangen wird und der Zusammenhalt der muslimischen Community und das Zusammenleben in der Gesamtgesellschaft gestärkt werden soll.
Der Leiter des Projekts, Eren Güvercin, gab anschließend einen knappen Überblick über das Vorgängerprojekt “MuslimDebate – Forum für eine neue muslimische Debattenkultur”, das sich primär an die muslimische Community richtete. Er wies darauf hin, dass die Kombination von nicht-öffentlichen Tagungen und öffentlichen Veranstaltungen es ermöglichte, strittige Fragen und Tabuthemen konstruktiv aufzugreifen. Das Angebot eines geschützten Raums war eine fördernde Voraussetzung, um über schwierige und konfliktbelastete Themen offen zu sprechen.
Mit MuslimDebate 2.0 sollen nun innermuslimische Diskursräume für die nicht-muslimische Zivilgesellschaft geöffnet werden. Angesprochen werden unterschiedliche zivilgesellschaftliche, politische und religiöse Akteure. Ziel ist, eine neue Diskussionskultur zwischen muslimischer und nicht-muslimischer Zivilgesellschaft zu etablieren. Nicht-muslimischen Akteur:innen soll ein besserer Einblick in die Vielfalt innermuslimischer Diskurse und Kontroversen ermöglicht werden, damit sie sich ein differenzierteres Bild von der muslimischen Community in Deutschland machen können.
Gleichzeitig geht es im Projekt darum, muslimische Akteur:innen sprach- und sprechfähig in Hinblick auf aktuelle gesamtgesellschaftliche Debatten zu machen. Allzu oft sind ihnen die Kanäle und Wege in gesellschaftliche Diskursräume nicht bekannt oder gar versperrt. Deshalb funktioniert ein Austausch im mehrheitsgesellschaftlichen Kontext nur begrenzt und eine wirkliche Teilhabe an gesellschaftlichen und Prozessen ist nicht gewährleistet. Jüdische, jesidische, muslimische, christliche und religiös nicht-gebundene Akteur:innen sollen gemeinsam über gesamtgesellschaftliche Herausforderungen diskutieren, ihre Perspektiven in diese Debatten einbringen, ihre Themen setzen sowie ihre Impulse und Lösungsvorschläge zur Sprache bringen. Denn in gesellschaftlichen Debatten muss die Vielfalt der Stimmen wahrgenommen und gehört werden.
Als Einstieg in die thematisch orientierte Debatte stellte Konstantin Kuhle, Mitglied des Deutschen Bundestags und stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion in drei Thesen seine Wünsche an eine künftige Debattenkultur vor.
Die erste These: Wir benötigen in Deutschland dringend eine erwachsene Debatte über Vielfalt in der Gesellschaft. Vielfalt in Deutschland bedeutet ein Zusammenleben von Menschen, die unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, die vielfältig sind und eine heterogene Gesellschaft bilden. Es wird in der Gesellschaft zukünftig starke muslimische Communitys geben, doch die Debatten sind immer noch zu migrationsfixiert. Wir müssen es z. B. hinbekommen, über die religiösen Aspekte von Migration zu diskutieren, ohne jedes religiöse Thema migrationspolitisch aufzuladen. Zudem gilt es die Ressentiments und Stereotypen zu überwinden, die in Debatten über den Islam schnell aufkommen. Es braucht viel Aufgeklärtheit, um beispielsweise Gewaltphänomene in der Gesellschaft zu reflektieren, ohne sich in monokausalen Erklärungsansätzen („der Islam“) zu verfangen und Faktoren wie Armut, Stadtplanung, Präsenz öffentlicher Institutionen in öffentlichen Räumen, Diskriminierung außer Acht zu lassen.
Die zweite These: Eine offene Gesellschaft in einer liberalen Demokratie braucht Selbstreflexion und Individualität. Es ist eines der absoluten Vorteile einer offenen Gesellschaft in einer liberalen Demokratie, dass die Akteur:innen in diesem System in der Lage sind, sich selbst zu hinterfragen. Das bedeutet z. B., dass unsere offene Gesellschaft hinterfragt, an welchen Stellen muslimische Menschen in unserer Gesellschaft marginalisiert, diskriminiert und schlechter behandelt werden als andere. In einer liberalen Demokratie können muslimische Menschen sich in diese Debatten selbst einbringen und ihre Kritik artikulieren. Sie sind jedoch auch gefordert selbstreflexiv mit Themen wie muslimischen Antisemitismus, Transfeindlichkeit, Homophobie, religiösen Extremismus oder einer toxischen Männlichkeit umzugehen. Zur Selbstreflexion gehört, einzuräumen, dass man selbst Fehler macht oder sich bewusst zu sein, dass man selbst nicht recht haben könnte.
Mit Individualität meint Konstantin Kuhle, dass in Debatten häufig über homogen gelesene Gruppen gesprochen wird oder über Probleme der Migration. Jedoch sehr wenig darüber, dass Menschen, die auch Muslime sind, durch vielfältige Aspekte des Alltags von Menschen geprägt sind: sie haben Kinder, sie gehen arbeiten, sie gestalten ihr Familienleben, sie kommunizieren mit der Nachbarschaft, sie haben unterschiedliche politische Einstellungen usw.
Die dritte These: Wir müssen in unseren Debatten Komplexität anerkennen. Musliminnen und Muslime sind als Individuen, aber auch als Angehörige der Gruppe Muslime Teil von öffentlichen Diskussionen über den Islam. Aber sie sind noch viel mehr, sie sind Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die möglicherweise eigene Meinungen zum Klimawandel, zu Steuersenkungen, zu sozialer Gerechtigkeit usw. haben.
Auch deshalb ist für ihn problematisch, dass bei Themen und Diskussionen, die eine integrations- und migrationspolitische Komponente haben, meist lediglich eine Vertreter*in der muslimischen Community eingeladen wird. Dadurch kann die vorhandene Vielfalt nicht abgebildet werden. Es wäre wichtig, dass zu solchen Debatten mehrere Personen eingeladen werden, damit auch deutlich wird, dass in der muslimischen Community teilweise kontroverse Diskussionen zu zahlreichen Themen stattfinden.
Weiter plädiert er dafür, dass sich mehr muslimische Menschen in politischen Organisationen engagieren. Es gibt zu wenig Menschen in den Organisationen, die durch ihre Mitwirkung dafür sorgen, dass muslimische Standpunkte in die Debatten einfließen.
Diese Thesen bilden den Ausgangspunkt für eine Gesprächsrunde an der Düzen Tekkal, Journalistin und Gründerin von „GermanDream“, Anna Staroselski, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, Engin Karahan, Gründungsmitglied der Alhambra Gesellschaft e. V., Kenner der muslimischen Zivilgesellschaft sowie der Verbandsstrukturen und Konstantin Kuhle teilnahmen. Moderiert hat Eren Güvercin von der Alhambra Gesellschaft e. V.
Zum Einstieg wird Engin Karahan nach Entwicklungen in den muslimischen zivilgesellschaftlichen Strukturen gefragt. Er beobachtet einen stetigen Anstieg von Initiativen auf lokaler und auf Bundesebene. Da immer wieder danach problematisiert wird, wer die Muslime in Deutschland repräsentiert und die Zivilgesellschaft in Deutschland weitgehend in Verbänden organisiert wird, ist es eminent wichtig, dass sich muslimische Initiativen und Organisationen in diesen Strukturen bewegen. Allerdings nimmt er einen Trend war, dass sich die großen muslimischen Verbände immer mehr aus öffentlichen Diskursen zurückziehen. Das führt auch dazu, dass junge Musliminnen und Muslime sich in eigenen Initiativen und Vereinen zusammenschließen und sich mit unterschiedlichen Stimmen in der Gesellschaft zu Wort melden. Vor allem auf kommunaler Ebene übernehmen sie Verantwortung und leisten wesentliche Beiträge für die Gemeinschaft.
Düzen Tekkal bringt ihren familiären Hintergrund einer Minderheitenposition von Jesiden in der Türkei ein und schildert, dass Jesiden in der Türkei Muslime immer auch als Unterdrücker aber auch als Beschützer erlebt haben. Sie haben Solidarität erfahren, wenn bei Bedrohungen Teile der Muslime die schützende Hand über sie gehalten haben. Sie betont, dass dieser Teil der Geschichte noch zu selten erzählt wird.
Sie konstatiert, dass in Deutschland die Jesiden Minderheit in den Minderheiten sind. Gefragt nach Assoziationen zum muslimischen Leben in Deutschland betont sie, dass muslimischen Leben kein monolithischer Block ist. Besonders relevant für sie als Journalistin ist es, Geschichten z. B. vom sozialen Aufstieg zu erzählen, davon, dass trotz benachteiligender Strukturen etwas erreicht wurde. Es kann nicht sein, dass das Thema Islam immer nur besetzt ist mit Intensivtäter, Kriminalität, Gewalt, Terrorismus wie das z. B. im Anschluss an die Vorgänge nach Silvester der Fall war. Doch zutreffend ist auch, dass Selbstreflexion und Selbstkritik in den Communitys nicht so beliebt sind. Über Probleme redet man zu Hause und nicht in der Öffentlichkeit.
Anna Staroselski wird darauf angesprochen, dass das Verhältnis von jüdisch-deutsch und muslimisch-deutsch oft als konfliktbeladen wahrgenommen wird. An sie richtet sich die Frage, wie es gelingen kann, jüdische und muslimische Perspektiven in den Debatten um gesellschaftliche Themen zur Geltung zu bringen. Sie sieht einen Abbau der Gegensätze als Aufgabe der Gesamtgesellschaft und erinnert daran, dass jüdisches Leben (wieder) in Deutschland verankert ist und sich auch eine muslimische Kultur hier etabliert hat. Wenn Deutschland als Einwanderungsland bezeichnet wird ist ihre These, dass es nicht genügt, über Integration zu sprechen, sondern die Perspektive muss Inklusion lauten. Dazu gehört, zu akzeptieren, dass Identitäten aktuell viel diverser sind. Weiterhin stehen nach ihrer Einschätzung Sichtbarkeit und Repräsentanz in Verbindung mit Zugehörigkeitsgefühlen und diese sind wiederum die Basis von Vertrauen. Sendet die Mehrheitsgesellschaft das Signal, ihr seid nicht erwünscht, dann besteht die Gefahr, dass Marginalisierte sich immer weiter zurück ziehen. Demgegenüber muss aufgezeigt werden, dass gesellschaftliche Räume offen sind und Menschen zu politischem Engagement ermutigt werden.
Bezogen auf den jüdisch-muslimischen Dialog gibt sie zu bedenken, dass vorrangig darüber nachgedacht werden muss, wie diejenigen erreicht werden können, die sich bislang noch nicht an diesem Prozess beteiligen.
In Hinblick auf die Forderung von Konstantin Kuhle, dass sich mehr muslimische Menschen in politischen Organisationen engagieren sollen, wird er gefragt, ob die politischen Parteien reflektieren, ob sie dafür offen sind und ob sie daran arbeiten, bestehende Barrieren abzubauen. Er stellt zunächst fest, dass die politischen Parteien gegenwärtig nur einen bestimmten Typus Mensch anziehen. Leidtragende sind diejenigen, die nicht in dieses Schema passen. Das betrifft Menschen, die einem bestimmten Beruf nachgehen, bei dem man abends oder am Wochenende arbeiten muss. Er meint, dass bislang nur unzureichend über die Ausgrenzungsmechanismen reflektiert wird. Wenn Menschen sich politisch engagieren mögen, dann muss man nach seiner Überzeugung ihnen ein gutes Gefühl geben, sie müssen sich willkommen und ernst genommen fühlen und nicht den Eindruck vermittelt bekommen, dass sich alles nur um sich selbst dreht.
Ein zweites Problem beim politischen Engagement ist, dass man Menschen mit erkennbarem Migrationshintergrund oder denjenigen, die sich als Muslime outen, sehr schnell ein Migrationslabel anheftet. Sie werden dann integrationspolitische Sprecher:in oder sie werden dann Vertreter:in im Ausländerbeirat, obwohl sie Mitglied in der Partei geworden sind, weil sie sich für Verkehrs-, Bildungs-, Sozial- oder ein anderes politisches Feld interessieren. Wahrscheinlich ist es wirkungsvoller auf Vorbilder zu setzen und Menschen, die sich politisch organisieren, besser zu begleiten.
Der Moderator spricht Düzen Tekkal auf das Projekt „GermanDream“ an, ein Angebot an Schulen zu einem Wertedialog mit Schülerinnen und Schülern und fragt was sie als deutsch-kurdische Jesidin als German Dream versteht. Sie erläutert, dass dieses Projekt einen Raum für einen Wertedialog anbietet und alle Fragen, die von den Schülerinnen und Schülern artikuliert werden, besprochen werden. Die Themen reichen von Antisemitismus, über Rassismus, religiösen Extremismus bis hin zu Alltagserfahrungen der Jugendlichen. Im Vordergrund steht die gemeinsame Erarbeitung eines Wertekonsens, bei dem demokratische Werte Teil der Lebensrealität von jungen Menschen werden. „German Dream“ ist ein parteiübergreifendes Angebot, in dem jungen Menschen zugehört wird, ihre Sorgen und Ängste zur Sprache kommen und sie motiviert werden, ihre Zukunft selbstbewusst mitzugestalten.
Parteiübergreifend zu arbeiten ist nach Überzeugung von Düzen Tekkal eine elementare Grundlage für die verschiedenen Projekte. Es gelte sich zu vernetzen und unterstützende Verbindungen aufzubauen, um Barrieren zu überwinden und neuen Zusammenhalt zu stiften. Die vielfältigen Gruppierungen sind bunt, sie sind laut und sind Teil des Landes, ohne sich assimilieren zu müssen. Sie ergreifen das Wort, reflektieren ihre Lage und formulieren ihre Interessen.
Zu abschließenden Statements der Diskutierenden gibt Eren Güvercin die Frage vor, welchen Beitrag Religionsgemeinschaften oder religiöse Communitys zur Diskussion gesellschaftlicher Probleme und aktuellen Herausforderungen leisten können, um das Zusammenleben positiver zu gestalten.
Konstantin Kuhle möchte Religionsgemeinschaften keine Ratschläge erteilen. Er wünscht sich, dass er häufiger Wortmeldungen von Religionsgemeinschaften außerhalb religionspolitischer Anlässe und jenseits von Diskriminierungsdiskursen erhält. Für ihn ist nachvollziehbar, dass sie sich vorrangig zu diesen Themenbereichen äußern. Doch er erläutert, dass es gegenwärtig in Deutschland große ethische Debatten in und außerhalb des Bundestags z. B. über die Sterbehilfe oder Schwangerschaftsabbruch gibt und es wäre wichtig, dass Vertreter:innen der muslimischen Community ihre Positionen in diese Debatten einbringen. Außerdem meint er, dass zum Komplex Auslandsbeziehungen Stellung genommen werden sollte. Für ihn ist es problematisch, dass beklagt wird, dass über die Thematik Islam vor allem migrationsbezogen diskutiert wird und Vertreter:innen muslimischer Religionsgemeinschaft sich dann zu Themen zu Wort melden, die etwas mit den Herkunftsländern der Großeltern und Eltern zu tun haben. Notwendig ist, die aktuellen bundesdeutschen Debatten mit eigenen Positionen zu bereichern.
Engagement über die eigene Betroffenheit hinaus erwartet Düzen Tekkal von Religionsgemeinschaften. Dabei können diese selbstbewusst auf das zurückblicken, was von der Community in die Gesellschaft eingebracht wurde. Aus ihrer Sicht kann es nicht darum gehen, zu fragen, ob man sich einmischen darf. In einer demokratischen Gesellschaft können sich alle einbringen. Es geht um die eigene Emanzipation, darum, eigene Räume zu schaffen, wo wir sein können, wie wir sind und Kritik an den Dingen zu üben, die problematisch sind und sich für Veränderungen einzusetzen.
Für Anna Staroselski steht im Vordergrund, Sichtbarkeit von Vielfalt in den Communitys und in der Gesellschaft zu schaffen, das ist eine gemeinsame Aufgabe. Zur Debattenkultur in einer Demokratie gehört dann auch, sich nicht bei jedem Wort angegriffen zu fühlen und sich bewusst zu sein, dass in einem Dialog viele Meinungen aufeinandertreffen. Weiterhin plädiert sie dafür, selbstbewusst zu sein und zur eigenen Identität zu stehen und eine Opferrolle abzulegen. Es geht darum, auch Erfolgsgeschichten zu erzählen, um deutlich zu machen, dass Migration und Herkunft nicht bedeutet, zwangsläufig in Armut zu leben. Notwendig ist, fördernde Rahmenbedingungen für Chancengerechtigkeit zu schaffen. Ein weiterer Aspekt ist für sie, Menschen mit Neugierde und Interesse statt mit Vorurteilen zu begegnen. Dazu gehört nach ihrer Überzeugung auch, über die eigene Tradition zu erzählen und darüber aufzuklären. Schließlich geht es auch um einen gemeinsamen Kampf für die Demokratie angesichts von Fake News, Hasspostings und Desinformation.
Auf die Situation, dass die deutsche Gesellschaft gegenüber dem Islam überwiegend skeptisch eingestellt ist, weist Engin Karahan abschließend hin. Er meint, dass die Muslime es mit einer Gesellschaft zu tun haben, in der viele nicht verstehen können, wie man in Deutschland freiwillig Muslim ist und bleiben will und man diese Religion auch noch an seine Kinder weitergeben will. In einem solchem Umfeld ist es erforderlich, dass Musliminnen und Muslime über die notwendigen Kompetenzen verfügen, um den Herausforderungen der Diskurse über gesellschaftliche Problemlagen gerecht zu werden. Zudem sind die muslimischen Gemeinschaften zwar sozial stark, jedoch überwiegend finanziell und strukturell schwach aufgestellt. Das hat sich nach seiner Beobachtung auch bei den Bestrebungen gezeigt, einen muslimischen Wohlfahrtsverband aufzubauen. Es ist illusorisch anzunehmen, dass muslimische Organisationen in wenigen Jahren einen Prozess nachholen können, in dem sich z.B. Caritas und Diakonie seit Jahrzehnten befinden.
Dennoch ist er der Überzeugung, dass die Sprachfähigkeit der muslimischen Community nicht von denjenigen abhängig gemacht werden kann, die grundsätzliche Probleme mit der Anwesenheit und dem Leben von Musliminnen und Muslimen in Deutschland haben. Für ihn sind Musliminnen und Muslime ein selbstverständlicher Bestandteil dieser Gesellschaft. Wenn man sich zu Wort meldet, dann muss man auch damit rechnen, dass man auf andere Meinungen trifft. Zum Diskurs in einer demokratischen Gesellschaft gehört jedoch, dass man mit Gegenargumenten konfrontiert wird und die Bereitschaft, Kontroversität auszuhalten, ist dem vernünftigen Diskurs immanent. Er ist der Überzeugung, dass von Seiten der muslimischen Community mehr unerwartete Wortmeldungen notwendig sind. Dazu braucht es auch Mut in muslimischen Gemeinschaften, Menschen mit eigenen Positionen zu Wort kommen zu lassen, doch in der Verbandslandschaft ist oft davon wenig zu spüren.
Video-Aufzeichnung der Auftaktveranstaltung:
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